Stressbewältigung - Wie kann ich mit internen und externen Stressoren besser umgehen?

Sich einem Stressor angemessen gewidmet und einen Umgang mit ihm gefunden zu haben, kann stärkend wirken.

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von Soraida Velazquez Reve, February 7, 2024
Stressbewältigung

Nachdem im vergangenen Teil der Fokus auf die Grundlagen zur Stressreaktion gelegt wurde, folgt nun der zweite Teil der Reihe, der sich auf die Bewältigung von Stressoren konzentriert. Es handelt sich dabei um Anregungen, neben diesen bestehen also viele weitere Möglichkeiten. 

Was bedeutet Stressbewältigung?

Im Bereich der Stressredukation wird in den westlichen Regionen vor allem ein Bezug zu den Arbeiten und Ansätzen von dem psychologischen Psychotherapeut, Coach und Autor Gert Kaluza hergestellt. Dieser hat sich dem Thema Stress, sowie Stressbewältigung gewidmet. In diesem Sinne wird hier einmal dieser Ansatz vorgestellt.

Kaluza beschreibt drei verschiedene Stresskomponenten, die jeweils unterschiedliche Bewältigungsmöglichkeiten besitzen. 

Diese drei Komponenten lauten:

Stressoren (Anforderungen von außen, Lärm, soziale Konflikte, externe Leistungsanforderungen), 

Persönliche Stressverstärker (eigene Einstellungen und Gedanken, die die Stressreaktion auslösen z.B. Ungeduld, Perfektionismus, Kontrollstreben),

Stressreaktion (Umgang und Folge des Stressors auf emotionaler, körperlicher und Verhaltensebene). 

Bei der Bewältigung von Stress geht es nun darum, Faktoren oder den Umgang mit den Stressoren auf diesen verschiedenen Ebenen so zu verändern, dass sie nicht zum Auslösen der Stressreaktion führen. Oder wenn es dazu kommt, denn Stress ist ein ganz natürlicher Bestandteil des Lebens, einen Umgang damit zu finden, sowie eine Rückkehr in einen stabilen Zustand. 

Im Bereich der Stressbewältigung kann es darum gehen, entweder präventiv zu wirken und die Wahrscheinlichkeit für das Aufkommen von Stressreaktionen zu minimieren, oder ein erfolgreiches Lernen und Anpassen auf Stressreaktionen folgen zu lassen, sowie chronischen Stress (Zustand langfristiger Stressreaktion) möglichst zu vermeiden. 

Sich einem Stressor angemessen gewidmet und einen Umgang mit ihm gefunden zu haben, kann stärkend wirken. Konnte beispielsweise während eines Teammeetings offen über bestehende Spannungen gesprochen und für diese ein angemessener Umgang gefunden werden, wird nicht nur bei der betreffenden Person, sondern beiallen das Bewusstsein gestärkt, dass Spannungen angesprochen und überwunden werden können.

Das Modell Kaluzas zeigt bereits auf, dass es neben der persönlichen Ebene auch eine strukturelle Verantwortung im Umgang mit Stressoren gibt. 

Werden beispielsweise Überstunden, Perfektionismus und kontinuierlicher Zeitdruck als Zeichen von einem engagierten Arbeitsstil gelobt und durch das Unternehmen gewürdigt, so stellen diese Stressoren Grundsteine der Arbeitskultur dar und können schwer alleinig durch Strategien auf individueller Ebene bewältigt werden. Die Verantwortung liegt da auch bei den Unternehmen, das eigene  Verständnis von „Arbeit“ und „Gesundheit“ zu reflektieren, sowie explizite und implizite Anforderungen und Umgangsformen zu betrachten. 

Auch Stressoren wie Diskriminierung, Mikroagressionen, Mental Load sind auf individueller Ebene allein schwer zu bewältigen und bedürfen ein kollektives Bewusstsein und Bewältigungsstrategien. 

Fragen zur Selbstreflexion

  • In welchen Situationen gerate ich in Stress? (Stressoren)

  • Wie setzt ich mich selbst unter Stress? (persönliche Stressverstärker)

  • Was passiert emotional, wenn ich gestresst bin? (Stressreaktion)

  • Was passiert körperlich, wenn ich gestresst bin? (Stressreaktion)

  • Wie verhalte ich mich, wenn ich gestresst bin? (Stressreaktion)

  • Welche Bedürfnisse hast Du, wenn Du gestresst bist? Durch welche Handlungen kannst Du diese erfüllen?

  • Wie bin ich  in der Vergangenheit mit Stressoren umgegangen?

  • Was davon war hilfreich für mich?

  • Welche der Stressoren in meinem Leben kann ich direkt beeinflussen?

  • Was benötige ich, um diese aktiv zu beeinflussen?

  • Bezüglich der strukturellen Stressoren meines Lebens, gibt es andere Personen, die ich kenne, die ebenfalls betroffen sind? Welche Umgangsformen haben diese mit den strukturellen Stressoren?

  • Auf welche Art und Weise kann ein stärkendes Netzwerk aufgebaut werden? 

  • Was sind die Bestandteile, um einen stressfreieren Alltag zu ermöglichen?

  • Welche sozialen Anforderungen und Erwartungen anderer Personen versuche ich zu erfüllen, obwohl diese nicht meinem Naturell entsprechen? 

  • Falls es solche Anforderungen und Erwartungen gibt, was würde sich kurzfristig, was langfristig ändern, wenn ich einen neuen Umgang zu den Erwartungen und Anforderungen entwickeln würde (z.B. eine Balance zwischen meinem Naturell und externen Anforderungen)?

  • Was würde ich einer geliebten Person Gutes tun, wenn diese mit ähnlichen Stressoren umgehen müsste?

  • Was benötige ich, um mir das Gleiche wie der geliebten Person zu gönnen?

Entdecken und Experimentieren

Hier werden nun einige Anregungen zur Stressbewältigung vorgestellt. Probiere diejenigen für Dich aus, die Dir zusagen. Fühle Dich frei, sie an Dich und Deine Situation anzupassen, sowie die Übungen, die Dir gar nicht zusagen zu übersehen. 

  1. Ampel der Belastung

Die Ampel habe ich bereits im Grundlagenteil zum Thema „Stress- Teil 1“ vorgestellt. Als Endresultat solltest Du eine Abbildung mit vier Spalten haben. In der ersten Spalte sind die drei Kreise in rot, orange und grün und in den folgenden Spalten stehen 1. Deine Gefühle, 2. Deine Gedanken, 3. Deine körperlichen Reaktionen und 4. Dein Verhalten je nach erlebter Stressintensität (rot, orange, grün). 

Erstelle nun eine zweite Abbildung, bei der auf der linken Seite Deine Ampel zu sehen 

ist (rot-orange-grün) und daneben zwei Spalten (insgesamt also drei Spalten und drei Zeilen). In die erste Spalte trägst Du ein, was Du für Dich selbst tun kannst, wenn du entspannt bist- grün, moderat gestresst bist- orange oder stark gestresst bist- rot. Beachte dabei die verschiedenen Ebenen: Emotionen, Körper, Verhalten. Schreibe so möglichst viele Dinge auf, die Dir einfallen. Dabei kann es alles Mögliche sein, egal, ob Entspannungsübungen oder Musik hören, tanzen oder schreien. In die zweite Spalte trägst Du alles für Dich ein, wie andere Dir je nach Stressintensität guttun oder Dich unterstützen können. Was hilft Dir in Verbindung mit anderen Stressoren, diese zu bewältigen und herunter zu fahren? 

 

Das kann sehr unterschiedlich je Person sein. Während einige mit steigendem Stresserleben davon profitieren, sich zurückziehen zu können, um z.B. dadurch weniger Input zu erhalten, profitieren die nächsten von Gesprächen über ihre Lage, Umarmungen oder gemeinsamen Aktivitäten. Vor allem in Systemen kann das Anlegen dieser Abbildung hilfreich sein, um einander besser zu verstehen und einen angemessenen Umgang miteinander zu finden. Es ermöglicht der betroffenen Person auch schneller in belastenden Situationen mögliche Umgangsformen wieder zu erinnern und anzuwenden. Denn oftmals ist die Wahrnehmung während einer Belastung eingeschränkt, sodass diese Abbildung als Unterstützung dienen kann, bis die Strategien und neuen Umgangsformen verinnerlicht wurden.

  1. Positive Selbstinstruktion

Stresssituationen gehen oftmals mit inneren Selbstgesprächen einher, wobei diese in den häufigsten Fällen noch verstärkend wirken. Die positive Selbstinstruktion setzt genau dort an.

Schreibe die Selbstgespräche auf, die Dir in Stresssituationen durch den Kopf gehen. Nehme die Gedanken wahr und beurteile für Dich, welche positiv und welche negativ sind. Teile sie dementsprechend ein. Nimm wahr, welche Gedanken sich auf die wirklich geschehene Situation beziehen, welche sich auf die Gefühle und welche auf das Verhalten beziehen. 

Überlege Dir nun für die negativen Gedanken positive Selbstgespräche. Dabei ist es wichtig, dass Du ehrlich zu Dir selbst bist und Dich nicht versuchst mit unrealistischer Positivität auszutricksen (z.B. „Ich werde scheitern“ zu „Ich versuche es und vielleicht klappt es.“ Oder „Wenn ich scheitere, ist es nicht so schlimm.“, statt zu überhöht: „Ich kann nicht scheitern.“). 

Für jede vorhersehbare Stresssituation erstellst Du nach diesem Muster Deine eigene passende Selbstinstruktion. Schreibe diese gern auf (Stresssituation und zugehörige Selbstinstruktion). Übe gern erst mit einer oder zwei Stresssituationen, um Dich an das Format zu gewöhnen und wenn möglich die Formulierung anzupassen. 

Der Einsatz der positiven Selbstinstruktion geschieht vor, während und nach der Stresssituation, laut oder in Gedanken. 

  1. Stressfreie Inseln

Erstelle Dir im Alltag Zeiträume und Orte, an denen Du Dich bewusst Dir und Deinem Wohlergehen widmest. Versuche echte Pausen zu gestalten, statt Dich nur mit anderem Input zu belagern. Die Länge und die Art und Weise kannst Du dabei an Deine Möglichkeiten und Deine Lebenssituation anpassen. Manchmal denken wir zu groß (z.B. ich brauche drei Wochen Urlaub auf den Malediven) und schieben unsere stressfreien Inseln auf. Abgesehen davon, dass Urlaub nicht unbedingt immer stressfrei sein muss, ist es ratsam nicht nur auf Urlaub zu warten, sondern in den Alltag je nach Möglichkeit 10 Minuten, 30 Minuten, 2 Stunden … bewusst einzuplanen, in denen Du sicher weißt: “Das ist meine Zeit.”. Ob Du währenddessen spazieren gehst, Waldbaden oder was auch immer, sei Dir und Deinen Vorlieben überlassen. 

  1. Stressbewältigungsmöglichkeiten nach Kaluza

In Anlehnung an die drei Komponenten nach Kaluza folgt eine Liste von Möglichkeiten zur Stressbewältigung. Ergänzend habe ich einige Anregungen aufgeführt, die auch hilfreich sein könnten:

Möglichkeiten instrumenteller Stressbewältigung (Ansatzpunkt bei Stressoren)

  • Fachliche Kompetenzen erweitern (Informationen, Fortbildung, kollegialer Austausch)

  • Arbeitsaufgaben delegieren

  • Persönliche Zeitplanung verändern

  • Grenzen setzen, Nein-Sagen

  • Sozialkommunikative Kompetenzen verbessern (Netzwerk aufbauen, etwas positiv sagen, andere verstehen, sich helfen lassen)

  • Problemkompetenzen verbessern (u.a. Klärungsgespräche führen)

  • Arbeitsaufgaben gezielt strukturieren

  • Persönliche Prioritäten setzen

Ergänzend:

  • Arbeitsstrukturen an Rhythmen der Arbeitenden anpassen (z.B. Arbeitszeiten und Pausen)

  • Geschulte Vertreter:innen (z.B. Betriebsrat) einsetzen, die/der über Sensibilität der Diversität der Arbeitnehmer:innen verfügt und diese angemessen vertreten kann

  • Regelmäßige externe Coachings zur Wahrnehmung eigener Handlungsbedarfe (nur wirksam mit nachfolgender Umsetzung der Vereinbarungen)

  • Arbeitspakete realistisch gestalten, sowie Puffer für mögliche Krisen und Ausfälle einplanen 

  • Safer Spaces finden oder schaffen, um eine Entspannung konstanter Bedrohung sowie Empowerment zu ermöglichen (können mehrere Räume sein! Durch mehrere Schutzräume ist mehr Stabilität möglich und beim Verlust eines Raumes, weitere Stützfunktion vorhanden)

Möglichkeiten Mentale Stressbewältigung (Ansatzpunkt bei persönlichen Stressverstärkern)

  • Perfektionistische Leistungsansprüche kritisch überprüfen und eigene Leistungsgrenzen akzeptieren lernen

  • Schwierigkeiten nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung sehen

  • Sich mit alltäglichen Aufgaben weniger persönlich identifizieren, mehr Distanz wahren

  • Sich nicht im alltäglichen Kleinkrieg verlieren, den Blick für das „Wesentliche“, das, was wirklich wichtig ist, bewahren

  • Sich des Positiven, Erfreulichen, Gelungenen bewusstwerden und Dankbarkeit empfinden

  • An unangenehmen Gefühlen von Verletzung oder Ärger nicht festkleben, sondern diese loslassen und vergeben lernen

  • Weniger feste Vorstellungen und Erwartungen haben, die Realität akzeptieren

  • Sich selbst weniger wichtig nehmen, falschen Stolz ablegen und „Demut“ lernen

Ergänzend:

  • Bewusstmachen, welche der eigenen Annahmen und Glaubenssätze generationsübergreifend sind und strukturell und dadurch Bewusstsein schaffen für eine gemeinsame Erfahrung und ein gemeinsames Erleben. (Viele Grundüberzeugungen sind Teil unserer Sozialisierung) Dadurch können diese auch gemeinsam angegangen werden, statt durch Dich allein.

  • Fördernde Strukturen für persönliche Stressverstärker in den übergeordneten Systemen (Freundschaft, Familie, Arbeit, Gesellschaft…) Identifizieren und, wenn möglich, mit Hilfe anderer gemeinsam transparent machen, um diese Strukturen zu verändern.

  • Aufbau einer förderlichen Fehlerkultur des Systems erleichtert den Abbau von persönlichen Stressverstärkern (z.B. Perfektionismus)

Methoden regenerative Stressbewältigung (Ansatzpunkt Stressreaktion)

  • Regelmäßiges Üben einer Entspannungstechnik 

  • Regelmäßige Bewegung 

  • Pflege außerberuflicher sozialer Kontakte

  • Regelmäßiger Ausgleich durch Hobbys und Freizeitaktivitäten

  • Lernen, die kleinen Dinge des Alltags zu genießen

  • Ausreichend Schlaf

  • Tagesablauf mit ausreichenden kleinen Pausen zwischendurch

Ergänzend:

  • Gezielt angenehme Aktivitäten und Auszeiten für das System einplanen - oftmals wird bei einem hohen Anspruch an Produktivität auf gemeinsame angenehme Aktivitäten verzichtet. Dabei können diese für ein besseres Verständnis untereinander und ein angenehmes Klima sorgen.

 

 

Inner Work for a Healthy Workspace

In diesem Format bekommst Du einen grundlegenden Hintergrund zu psychologischen Phänomenen und hast die Möglichkeit mit Hilfe von Fragen und Übungen Dich selbst kennenzulernen und auszuprobieren. Dabei können die Fragen Dir behilflich sein, ganz eigene, neue Antworten zu finden. Du kannst die Fragen auch gern anderen Personen stellen, um deren Antworten mit Deinem Selbst-Verständnis zu vergleichen. Die Übungen sind Anregungen, um etwas Neues auszuprobieren. Sehe sie eher wie ein Experiment oder eine Entdeckungsreise als eine Akutlösung oder DAS Rezept. Denn das eine Rezept gibt es bei so viel Vielfältigkeit sowie so nicht. 

Einige Themen können Dich dabei mehr, andere weniger ansprechen. Schau für Dich immer wieder, was zu dem Moment, zu Dir und Deinen Ressourcen passt und traue Dich, Dinge einmal anders zu machen.

Soraida Velazquez Reve ist eine psychologische Psychotherapeutin mit verhaltenstherapeutischer Ausrichtung, systemischer Coach und hat viele Jahre im Bereich Tanz und Fitness gearbeitet. Sie arbeitet mir Einzelpersonen und Gruppen im Bereich der Prävention, Akutbehandlung, Nachsorge, sowie Arbeitsgesundheit. 

Sie liebt eine interdisziplinäre und ganzheitliche Perspektive und Arbeitsweise. Wissen und eigene Entwicklung erfahrbar zu machen liegt ihr sehr am Herzen, sodass sie in ihrer Arbeit gern aktive Übungen zum eigenständigen Entdecken und Erleben integriert. Diesen Ansatz lebt sie in ihren Therapien, Coachings, Programmen und Gruppensessions. 

Innere Arbeit ist berührend, herausfordernd und benötigt Ressourcen wie Energie und Zeit. Sie darf jedoch auch die innere Entdeckungsfreude aktivieren, Spaß machen und beleben.