Transformative Leadership - Das Werkzeug zu echter Veränderung

Was Führungskräfte von sozialen Bewegungen lernen können

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von Tarah-Tanita Truderung, February 12, 2025
Artikel: Transformative Leadership - Das Werkzeug zu echter Veränderung - Was Führungskräfte von sozialen Bewegungen lernen können

Transformative Leadership – Aber wohin eigentlich?  

“It is time to turn capitalism into a fossil, time to turn the soil, turn the horizon together.” - adrienne maree brown in emergent strategy  

Im Management dreht sich vieles um Ziele, besonders wenn es darum geht, Strategien zu  entwickeln. Doch viele dieser Ziele sind Teil eines  Systems, das die Probleme unserer Zeit – soziale Ungerechtigkeit, Diskriminierung,  Ausbeutung, Umweltzerstörung, Kolonialismus, Faschismus, Kriege und Genozide… –  nicht löst, sondern oft re_produziert und damit auch verstärkt. 

Wir können eine Welt anstreben, in der Arbeit nicht Ausbeutung bedeutet, sondern kollektive Fürsorge und gemeinsame Gestaltung. Eine Welt, in der Bildung und Wissen nicht elitär gehortet wird, sondern frei zugänglich ist. Ein Wirtschaftssystem, das nicht auf Wachstum um jeden Preis basiert, sondern auf nachhaltigem Miteinander, Umverteilung und Versorgung für alle. Eine Gesellschaft, in der Entscheidungen nicht von wenigen Privilegierten hinter verschlossenen Türen getroffen werden, sondern durch demokratische, solidarische Prozesse, die von den Menschen getragen werden, die in ihr leben. Wir können eine Welt anstreben, die ein gutes Leben für alle hergibt. Die Vision einer gerechten Welt ist keine bloße Utopie, sondern ein politisches Ziel, das auf den Kämpfen basiert, die bereits heute geführt werden.

Transformative Leadership kann dabei ein Werkzeug zu echter Veränderung sein – doch nur, wenn es nicht zur leeren Worthülse verkommt, vereinnahmt von kapitalistischen und neoliberalen Interessen. Deshalb müssen wir uns immer wieder fragen: Was ist das Ziel dieser Transformation? Wie sieht die Praxis aus, um dort hinzukommen? Und welches System streben wir eigentlich an?

Radikal an die Wurzel der Probleme gehen  

Transformation und das Ziel der sozialen Gerechtigkeit auf einem gesunden Planeten  erfordern, die strukturellen Ursachen von Ungerechtigkeit und Ausbeutung anzugehen –  radikal im Sinne von „an die Wurzeln gehen“. Dabei geht es nicht nur um Veränderungen  im Management oder in Unternehmen, sondern um den Kampf gegen die politischen und  ökonomischen Systeme, die Unterdrückung fortschreiben: Kapitalismus, Imperialismus  und Patriarchat - in die wir alle eingebettet sind. 

​​Um diese Strukturen zu überwinden, müssen wir uns nicht nur auf theoretische Analysen stützen, sondern dorthin schauen, wo Widerstand bereits gelebt wird. Die Kämpfe um echte Transformation finden nicht in Vorstandsetagen oder politischen Sonntagsreden statt, sondern in den Communities, die Unterdrückung täglich erfahren – in sozialen Bewegungen, Streiks, kollektivem Organizing und dekolonialen Kämpfen. Diese Kämpfe müssen nicht nur anerkannt, sondern aktiv unterstützt werden. Transformative Veränderung erfordert strategisches Handeln: solidarisch, organisiert und kompromisslos gegen die Wurzeln der Gewalt gerichtet.

Ein sozialistisches Verständnis von Führung  

“Humans? Some of us are surviving, following, flocking - but some of us are trying to imagine where we are going as we fly. That is radical imagination” - adrienne mar brown in emergent strategy  

Transformative Leadership ist weit mehr als Gewinne in Form von Kapital einzufahren -  vielmehr etwas ganz anderes als das. Transformation Leadership fordert von  Führungskräften, Verantwortung zu übernehmen – nicht nur für den Erfolg eines  Unternehmens, sondern für die Bekämpfung von Ungerechtigkeit, Ausbeutung und  systemischer Gewalt. Arbeit und Ressourcen müssen nicht für den Profit weniger organisiert werden, sondern zum kollektiven Nutzen all derjenigen, die sie schaffen, wie das Combahee River Collective in “A black feminist statement” von 1977 schrieb:

„We realize that the liberation of all oppressed peoples necessitates the destruction of the political-economic systems of capitalism and imperialism as well as patriarchy. We are socialists because we believe the work must be organized for the collective benefit of those who do the work and create the products, and not for the profit of the bosses. Material resources must be equally distributed among those who create these resources. We are not convinced, however, that a socialist revolution that is not also a feminist and antiracist revolution will guarantee our liberation.[...]" - Combahee river collective 1977, a black feminist statement  

Die Ausbeutungssysteme können demnach nicht isoliert voneinander verändert werden.  Transformation muss deshalb sozialistisch, feministisch und antirassistisch gedacht  werden, denn ohne diese Perspektiven bleiben die tiefen Ursachen von Ausbeutung  unangetastet. 

Transformative Leaders wissen, dass sie nicht perfekt sind und Perfektionismus ist auch nicht das Ziel  

Ein Vorbild in diesem Kontext zu sein heißt nicht, perfekt zu sein oder perfekt sein zu  müssen - ganz im Gegenteil. Die Vorstellung eines fehlerlosen, immer starken Vorbilds  widerspricht der Logik von Transformative Leadership. Fehler gehören dazu, und der  Umgang mit ihnen zeigt, wie ernst Veränderung wirklich genommen wird. Transformative  Führung bedeutet, Lernräume zu schaffen, in denen Verantwortung geteilt wird und in denen Heilung und Solidarität Platz haben. Führungskräfte müssen fragen: „Wie schaffen wir Systeme, die auf Gerechtigkeit und Gemeinschaft basieren?“ und „Wo kann unsere  Organisation einen Beitrag leisten?“. Ohne diese kritische Selbstreflexion bleibt jede Veränderung oberflächlich. 

Unternehmen, Institutionen und Organisationen sind dabei keine isolierten Inseln. Sie sind  Teil eines Systems, das sie formen und von dem sie geprägt werden. Transformative  Leadership verlangt, Hierarchien aktiv abzubauen, Räume für Emotionen und  Traumaheilung zu schaffen, Selbstreflexion zu fördern und daran zu arbeiten,  Gewaltspiralen zu durchbrechen. Es geht darum, Kollektivität über Individualismus zu  stellen, denn echte Transformation war nie das Werk Einzelner, sondern das von  Communities. Echte Transformation verlangt, alte Strukturen nicht nur abzubauen,  sondern gleichzeitig neue aufzubauen – solidarisch, gerecht und nachhaltig.

Wer wirklich transformativ handeln will, muss sich fragen: Unterstützen wir aktiv eine  gerechtere Welt, oder stützen wir nur das bestehende System? Sind unsere Ziele  nachhaltig, oder dienen sie letztlich nur der Aufrechterhaltung des Status quo, wenn auch  mit einem progressiven Anstrich? Welche Rolle spielen unsere Emotionen, Geschichten  und Erfahrungen dabei? 

Von wem können wir lernen?  

Inspiration finden wir in Grassroots-Bewegungen wie z.B. Schwarzen Befreiungskämpfen oder in Befreiungskämpfen indigener Communities, aber auch in anti-faschistischen  Kämpfen. Sie zeigen, dass echte Veränderung nicht von oben oder aus Institutionen  kommt. Sie entsteht bei denjenigen, die täglich die Gewalt des Systems erleben. Diese  Bewegungen erinnern uns daran, dass Transformation bei uns selbst beginnt. Heilung  und Embodiment – die bewusste Verbindung zu sich selbst und zur Umwelt – sind  essenziell, um Gewaltspiralen zu durchbrechen und echte Veränderung möglich zu  machen. Dabei beginnt Transformation im Körper – in der Art, wie wir uns selbst spüren  und mit anderen in Verbindung treten. Führungskräfte, die präsent und verkörpert führen,  fördern echte, kritische Beziehungen und Vertrauen. 

“It is so important that we fight for the future, get into the game, get dirty, get experimantal. How do we create a proliferate a compelling vision of economies and ecologies that center humans and the natural world over the accumulation of material? We embody. We learn. We release the idea of failure, because it’s all data.” adrienne maree brown in emergent strategy  

No Business as Usual  

Transformative Leadership bedeutet nicht nur, Kapitalismus und Faschismus zu kritisieren, sondern ihre Denkmuster aktiv zu verlernen und sich konsequent gegen die Systeme zu stellen, die Unterdrückung und Ungleichheit aufrechterhalten. Es reicht nicht aus, bestehende Strukturen nur anzupassen – wir müssen sie radikal hinterfragen und durch gerechtere Möglichkeiten ersetzen. Grassroots-Bewegungen zeigen uns, dass echte Transformation kein „Business as usual“ zulässt. Es geht nicht um bloße Reformen innerhalb des Systems, sondern um ein Umdenken, das Community und Gerechtigkeit ins Zentrum stellt – statt Profit und Wachstum.

Der Weg dorthin erfordert kollektives Handeln, strategische Organisierung und die Bereitschaft, gewohnte Sicherheiten loszulassen. Transformative Leadership ist keine Methode, die man innerhalb bestehender Strukturen implementieren kann, sondern eine Haltung: die Entscheidung, Menschen und den Planeten über wirtschaftliche Interessen zu stellen. Eine gerechte Welt erfordert einen Bruch mit der kapitalistischen Logik und eine klare sozialistische Perspektive. Führung muss sich an sozialistischen Ideen orientieren, sie in die Praxis überführen und Umverteilung, Kollektivität und solidarische Wirtschaftsmodelle in den Mittelpunkt rücken. Nur durch kollektive Organisierung, wirtschaftliche Umverteilung und eine Abkehr von kapitalistischen Ideen, die wir oft sozialisationsbedingt auch tief in uns tragen, kann eine wirklich nachhaltige und gerechte Transformation gelingen. Für ein gutes Leben für alle!

 

Die Autorin

Tarah-Tanita Truderung

Ich bin Tarah-Tanita Truderung (sie/ihr), eine afro-deutsche Sozialarbeiterin, Sozialwissenschaftlerin und Bildungsreferentin. Meinen Master in „Pädagogik und Management in der Sozialen Arbeit“ habe ich in Köln absolviert, wo ich mich in meiner Masterarbeit intensiv mit Widerstandsstrategien gegen Rassismus an deutschen Hochschulen beschäftigt habe. Zusätzlich habe ich zwei Bücher veröffentlicht – „Resist Academia“ und „Gehört Aktivismus in die Sozialwissenschaft?“ –, in denen ich meine Forschung und meine Perspektiven auf gesellschaftliche Veränderung darstelle. Meine Schwerpunkte liegen in der rassismuskritischen Sozialen Arbeit, im intersektionalen Feminismus, Empowerment und in der dekolonialen Wissens(re)produktion. Als Facilitatorin und Aktivistin gestalte ich transformative Räume für diverse Communities, halte Keynotes, Workshops und moderiere Veranstaltungen, um Machtstrukturen kritisch zu beleuchten und soziale Gerechtigkeit voranzutreiben.

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