Negative Grundüberzeugungen und Glaubenssätze

Wie kann ich beginnen, negative Grundüberzeugungen zu entdecken und einen neuen Umgang mit ihnen zu entwickeln?

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von Soraida Velazquez Reve, November 14, 2023
Negative Grundüberzeugungen und Glaubenssätze

In diesem Format bekommst Du einen grundlegenden Hintergrund zu psychologischen Phänomenen und hast die Möglichkeit mit Hilfe von Fragen und Übungen Dich selbst kennenzulernen und auszuprobieren. Dabei können die Fragen Dir behilflich sein, ganz eigene, neue Antworten zu finden. Du kannst die Fragen auch gern anderen Personen stellen, um deren Antworten mit Deinem Selbst-Verständnis zu vergleichen. Die Übungen sind Anregungen, um etwas Neues auszuprobieren. Sehe sie eher wie ein Experiment oder eine Entdeckungsreise als eine Akutlösung oder DAS Rezept. Denn das eine Rezept gibt es bei so viel Vielfältigkeit sowie so nicht. 

Einige Themen können Dich dabei mehr, andere weniger ansprechen. Schau für Dich immer wieder, was zu dem Moment, zu Dir und Deinen Ressourcen passt und traue Dich, Dinge einmal anders zu machen. Viel Spaß!

„Ich schaffe es sowieso nicht!“, „Warum sollte grade ich diese Position erhalten?“, „Ich bin zu dumm.“, „Ich bin nicht liebenswert.“, „Ich bin nie gut genug.“ … Solche und viele weitere negative Grundüberzeugungen und Glaubenssätze sind vielen Personen bekannt. Sie behindern eigene Prozesse und werden oftmals wie Gesetze und feste Regeln genutzt, statt wie Annahmen, die im Laufe des Lebens entwickelt wurden und hinterfragt werden dürfen. 

Grundüberzeugungen oder Glaubenssätze sind mittlerweile auch im Alltag gängig gebrauchte Begriffe. Dabei handelt es sich vor allem um übergeneralisierte negative Annahmen, die uns oftmals nicht bewusst sind, jedoch situationsübergreifend aktiviert werden können. Sie können sich in automatisierten Gedanken, die aus dem Nichts zu kommen scheinen, zeigen und uns bewusster werden. 

Der Text soll dabei behilflich sein, ein besseres Verständnis und einen neuen Umgang mit unseren negativen Grundüberzeugungen zu finden. Denn das kann dazu beitragen, dass wir im Privaten sowie im Beruflichen unsere Potenziale besser nutzen, mehr emotionale und kognitive Ressourcen zur Verfügung haben, sowie neue und stärkende Erfahrungen machen können. 

Einige der Methoden können nicht nur für individuellen Gebrauch, sondern auch auf Ebene von Teams und Organisationen genutzt werden. Denn auch dort gibt es nicht selten Annahmen, die die weitere Entwicklung und das Entdecken neuer Wege verhindern. 

Wie entstehen negative Grundannahmen?

Zuallererst sei gesagt, dass negative Grundüberzeugungen weit verbreitet sind. Solltest Du selbst welche haben, dann sei willkommen. Manchmal fühlt es sich besonders unangenehm an, uns unseren negativen Grundüberzeugungen zuzuwenden. Selten wird über die negativen Grundüberzeugungen gesprochen, wodurch das Gefühl entsteht, als seien diese sehr selten oder nur wir allein hätten welche.

Fakt: Falls Du welche hast… Du bist nicht allein.

Nun zur Entstehung: 

Als ursächlich für die Entstehung von negativen Grundüberzeugungen werden frühe Lernerfahrungen gesehen. Auf Grundlage dieser Lebenserfahrungen entwickeln wir verschiedene Annahmen über uns, andere Personen (inklusive der Beziehung zu anderen) und unsere Umwelt. Einige dieser Lebenserfahrungen sind negativ konnotiert und führen somit zu negativen Denkmustern, die durch emotionale Bedeutung und Wiederholung generalisiert, bestätigt und gefestigt werden. 

Bei Ereignissen, die den Grundüberzeugungen entsprechen, erfolgt eine schnelle Bestätigung, während die Informationen, die der Grundüberzeugung nicht entsprechen, entweder kaum, gar nicht oder verzerrt wahrgenommen werden. Das gilt für positive wie negative Grundüberzeugungen. 

Zum Glück sind wir in der Lage, über unser gesamtes Leben hinweg neue Erfahrungen zu machen und alte Grundüberzeugungen zu „überschreiben“, sowie neue anzulegen. 

Da wir nicht auf unseren individuellen Erfahrungsinseln leben, sondern in sozialen Gemeinschaften und politischen Systemen, ist an dieser Stelle anzumerken, dass einige Annahmen und Überzeugungen sich nicht nur auf unsere Familiensysteme/Bezugssysteme beziehen. 

Ein Beispiel dafür ist in der Stereotype-threat-Theorie zu finden. Diese besagt, dass Personen, die entweder befürchten, auf Grundlage eines Stereotyps (zu dem sie als dazugehörig gelesen werden oder sich dazugehörig fühlen) bewertet zu werden oder durch das eigene Verhalten ein negatives Stereotyp zu bestätigen. In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass die wahrgenommene Zugehörigkeit der eigenen Person zu einem negativen Stereotyp zu einer schlechteren Leistung führt, als wenn sich Personen nicht zu diesen Stereotypen zugehörig fühlen, oder die Stereotypen nicht aktiviert wurden. Eine Erklärung, die oft genannt wird, ist die stärkere Beschäftigung mit der eigenen Angst, dem negativen Stereotyp zu entsprechen. Dadurch gehen Ressourcen verloren, die für die Erfüllung der Aufgabe benötigt werden könnten. Vielleicht kennst Du solche Momente. Diese Phänomene sind wichtig kollektiv und politisch anzugehen.

Fragen zur Selbstreflexion

  • Welche negativen Gedanken empfinde ich als Regel?
  • Welche hinderlichen Muster kannst Du in Deinem Denken und Handeln entdecken?
  • Wie erlebe ich mich, wenn diese Gedanken aufkommen?
  • Wo sehe ich meine eigenen Grenzen?
  • Wann habe ich zuletzt diese Grenzen in Frage gestellt bzw. getestet?
  • Welche Grenzen und negative Zuschreibungen (z.B. Aberkennung von Fähigkeiten) wurden mir in der Kindheit vermittelt?
  • Wer hat mir diese Grenzen gesetzt oder Zuschreibungen mitgeteilt?
  • Wie viel Macht hat diese Person, oder diese Personen (noch) über mein heutiges Leben?
  • Wo möchte ich gern meine eigenen Grenzen verankern oder neue Räume schaffen?
  • Welche Zuschreibungen möchte ich gern ablegen, welche möchte ich erforschen?
  • Wenn die negativen Grundüberzeugungen nicht wären, was würdest Du in den nächsten 3 Jahren anders machen oder ausprobieren?
  • Was bedeutet Arbeit, Freizeit, Fairness, Entwicklung und Gesundheit im Team/Unternehmen?
  • Wie wird sich aktuell für die Bereiche im Team/Unternehmen eingesetzt?
  • Woher stammen die Rahmenbedingungen? 
  • Wann wurden sie zuletzt an die aktuelle Arbeitssituation (Mitarbeitende, externe Bedingungen…) angepasst?
  • Welche Anfragen kamen in der Vergangenheit vermehrt auf und konnten nicht berücksichtigt werden? 
  • Wodurch wurden diese Anfragen nicht berücksichtigt?
  • Wenn sich drei Rahmenbedingungen ändern lassen könnten, die für die Weiterentwicklung und das Wohlergehen sorgen könnten, welche wären das?
  • Wenn ausreichend Mut da wäre, Neues auszuprobieren und welche alten (hinderlichen) Grenzen würden gesprengt werden? 
  • Was sollte an ihrer Stelle entstehen?
  • Wer kann bei der Entwicklung behilflich sein?
  • Gibt es Teams oder Unternehmen, die bereits anders (in gewünschter Richtung) agieren und handeln?
  • Was ist bei denen anders?

Entdecken und Experimentieren

Oftmals werden zur Bearbeitung der Grundüberzeugungen die viel bewussteren automatischen Gedanken betrachtet. Diese haben den Vorteil, dass sie situationsspezifisch und bewusster sind. Wenn Du Dich in einer Stresssituation befindest, merkst Du vielleicht, wie die Gedanken sich ganz von allein zu entwickeln scheinen. Ein anderer Ansatz kann der Fokus auf eigene Annahmen und Pläne, sogenannte „bedingte Kognitionen“ sein (z.B. „Ich muss immer alles wissen, um schlau zu sein.“). Darüber hinaus gibt es weitere Ansätze, z.B. emotionsbasierte und körperorientierte.

Du kannst es gern wie eine Übung ansehen, die neuen Umgangsformen weiter zu trainieren. Dass alte Grundüberzeugungen sich immer wieder einschleiche,n ist normal. Versuche das wahrzunehmen und Dich auf den neuen Umgang zu konzentrieren. 

Erkennen und Wahrnehmen 

Unsere eigenen Annahmen und Überzeugungen zu entdecken kann uns dabei helfen, schneller auf sie zu reagieren, sie zu kommunizieren, sowie die weiteren Methoden gezielt anwenden zu können. Wie bereits angemerkt sind Grundannahmen wie Brillen, durch die wir uns und unsere Umgebung wahrnehmen (der Grundannahme entsprechende Informationen werden stärker wahrgenommen). Kenne ich meine Brillen, kann ich mich besser auf die Sehqualität einstellen bzw. gezielt die Brille wechseln (das bedarf Übung und Zeit zur Gewöhnung).

Realitätstest

Hast Du für Dich eine negative Grundüberzeugung bzw. ein negatives Denkmuster entdeckt, überprüfe sie an der Realität. Dazu können Nachfragen, Recherchen oder Experimente im Alltag hilfreich sein. 

Zu Ende Denken

Was würde passieren, wenn es so wäre, wie Deine Grundüberzeugung/Dein automatischer Gedanke/Deine Annahme es Dir sagt? Frage Dich das gern immer weiter und weiter, bis zum worst-case-senario kommst. Wie wahrscheinlich ist das? Worum geht es Dir eigentlich? Welches Bedürfnis, welchen Wunsch kannst Du entdecken?

Defusionsübung (ACT- Hayes)

Defusion nach ACT bedeutet, dass wir uns von dysfunktionalen Gedanken und Überzeugungen lösen und mehr Abstand zu ihnen entwickeln (Nach dem Motto: „Das ist nur ein Gedanke.“ - somit ist es keine ultimative Wahrheit oder ein Fakt). Dadurch wird uns ermöglicht, auch andere Gedanken zu erlauben. Wenn wir zudem den Gedanken nur als Gedanken wahrnehmen, wird dessen Gewicht automatisch leichter.  Es gibt diverse Übungen (s. „Kurswechsel im Kopf“-Hayes).

Umschreiben (viele verschiedene AutorInnen und Variationen)

Wenn Du Autor:in Deines eigenen Leben wärst und Deiner eigenen Gedanken zu Dir, sowie Überzeugungen, wie würdest Du diese am liebsten umformulieren? Es können große oder kleine Veränderungen sein. Du kannst auch relevante Lebensereignisse nutzen, auf denen die Grundüberzeugungen basieren und diese für Dich neu umschreiben (am besten wirklich aufschreiben). Diese Art des Perspektivwechsels kann uns dabei unterstützen, uns eine andere Version der gleichen Erfahrung zu ermöglichen, die uns neue Grundüberzeugungen erlaubt.

Problemlösegymnastik

Nimm einmal eine Körperhaltung ein oder vollführe eine Bewegung, die zu deiner negativen Grundüberzeugung passt (z.B. gesenkter Kopf, runder Rücken, schlaff herabhängende Arme, weiche Knie). Spür einmal nach, wie sich das anfühlt. 

Dann nimm eine Körperhaltung ein oder bewege Dich im Sinne einer (zu dem Bereich der negativen Grundüberzeugung) passenden positiven Grundüberzeugung (z.B. offene Brust, aufrechte Haltung, bewusstes Atmen, Blick in den Raum, entspannte Arme, federnd stabile Beinhaltung). “Zu Deiner negativen Grundüberzeugung passend” soll bedeuten, dass falls Deine negative Grundüberzeugung lautet: “Ich bekomme so wie so nichts hin.”, dann könnte eine positive Grundüberzeugung, die dazu passt lauten: “Ich traue mich Dinge auszuprobieren und zu lernen.” oder “Ich bekomme bereits einiges gut hin.”. Wie würdest Du im ersten Fall stehen und Dich bewegen? Wie im zweiten Fall? 

Wechsel von einem zum anderen. Trainiere Deinen Organismus, den Wechsel zu vollführen, um somit leichter im Alltag einen Wechsel zu ermöglichen. Denn neben dem Training unserer Gedanken, ist es auch wertvoll, die weiteren Bestandteile unseres Seins neu zu trainieren. Bei negativen Grundüberzeugungen, ist es nicht nur der Kopf, der die Gedanken generiert, sondern auch der Körper, der sich dementsprechend aufstellt und bewegt, das Verhalten, das der Grundüberzeugung folgt und natürlich die Gefühle.  Diese Übung zielt vor allem auf das Training der körperlichen Haltung aus. Mit dieser Veränderung wirst Du, wenn die Übung zu Dir passt, erleben, dass auch Deine Einstellung zu Dir, Deine Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen sich mit verändert. 

Diese Übung kann auch als gesamtes Team durchgeführt werden und als eine Interaktion gestaltet werden. Sammelt gern dazu Überzeugungen, die ihr im Team habt, die gesundes Arbeiten (oder welche Arbeitsweise auch immer angestrebt ist) bisher blockieren. Und überlegt euch verschiedene alternative Überzeugungen. Führt dann die Körperhaltungen für die blockierende Überzeugung aus, spürt hinein. Und im Anschluss die für die stärkende Überzeugung. Neben dem bereits beschriebenen Effekt, den es auch bei Einzelpersonen gibt, wird diese Übung oftmals mit Humor und Gelächter umgesetzt. Und das ist, wie den meisten bekannt ist, ein Mittel, um Blockaden zu lösen, die Entspannung  und die Flexibilität zu erhöhen. 

Kollektive Veränderung

Das Kreieren von neuen politisch geförderten und empowernden Menschenbildern ist relevant, um kollektiven negativen Grundüberzeugungen entgegenzuwirken und die Verbreitung positiver zu entwickeln (z.B. Aufbau von Allyships, Abbau von Stereotypen, Entstigmatisierung, Aufbau von ressourcen- & lösungsorientierten Interaktionen, strukturelle Umverteilung von Ressourcen, stärkende Erziehung bzw. Begleitung in der Kindheit inkl. im Schulsystem, positive Modelle). Die Ansätze können variieren. Es bedarf jedoch in jedem Fall eine kollektive Zusammenarbeit. 

Über die Autorin

Soraida Velazquez Reve

Soraida Velazquez Reve ist eine psychologische Psychotherapeutin mit verhaltenstherapeutischer Ausrichtung, systemischer Coach und hat viele Jahre im Bereich Tanz und Fitness gearbeitet. Sie arbeitet mir Einzelpersonen und Gruppen im Bereich der Prävention, Akutbehandlung, Nachsorge, sowie Arbeitsgesundheit. Sie liebt eine interdisziplinäre und ganzheitliche Perspektive und Arbeitsweise. Wissen und eigene Entwicklung erfahrbar zu machen liegt ihr sehr am Herzen, sodass sie in ihrer Arbeit gern aktive Übungen zum eigenständigen Entdecken und Erleben integriert. Diesen Ansatz lebt sie in ihren Therapien, Coachings, Programmen und Gruppensessions.   Innere Arbeit ist berührend, herausfordernd und benötigt Ressourcen wie Energie und Zeit. Sie darf jedoch auch die innere Entdeckungsfreude aktivieren, Spaß machen und beleben.