Mitgehangen, mitgefangen

Warum eine Unternehmenskultur keine ist, wenn sie nicht für alle da ist

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von Sandra-Marie Olijslager, November 6, 2024
Büro, Laptop, Frau lacht

„Unsere Unternehmenskultur ist einzigartig. Bei uns leben wir New Work.“ Sätze wie diese finden sich auf fast jeder Karriereseite. Ein bisschen Diversity-Talk, Bilder vom letzten Team-BBQ, und das Versprechen, dass hier flache Hierarchien und gegenseitiges Vertrauen wirklich gelebt werden. Aber was passiert, wenn man wirklich in diese „einzigartige Kultur“ eintaucht? Nicht selten bemerkt man schnell: Auch beim BBQ wird nur mit Wasser gekocht – und das eigene Verständnis von „Cultural Fit“ weicht doch ziemlich vom gelebten Alltag ab.

Denn was sich oft als New Work verkauft, entpuppt sich als alter Wein in neuen Schläuchen: festgefahrene Hierarchien, Kontrollwahn und Micromanagement. Eigentlich sollen Mitarbeitende autonom arbeiten und Verantwortung übernehmen. Doch anstatt Vertrauen zu schenken, greifen Führungskräfte auf altbewährte Überwachung und ständige Einmischung zurück. Kontrolle ist eben schwer loszulassen. Solange aber Misstrauen die Kultur prägt, bleibt New Work ein Marketingversprechen – nichts weiter.

Die unsichtbare Mauer: Wer gehört dazu und wer bleibt draußen?

Unternehmenskultur ist nicht das, was in Jobanzeigen steht oder auf Social Media gezeigt wird. Sie zeigt sich in kleinen, unscheinbaren Momenten und den unausgesprochenen Erwartungen des Alltags. Diese subtilen Verhaltenscodes entscheiden darüber, wer sich wirklich als Teil der Gemeinschaft fühlt und wer eher toleriert als integriert wird.

Ein Beispiel: Ein Unternehmen beschreibt sich als familienfreundlich – trotzdem werden Meetings regelmäßig spät am Abend angesetzt. Oder: Die Firma gibt sich offen für neue Ideen, aber in den Meetings dominieren die Lautesten, während introvertierte oder ruhigere Kolleg*innen kaum Gehör finden. Auf dem Papier herrscht Offenheit, in der Realität gibt es jedoch eine unsichtbare Mauer, durch die nur bestimmte Menschen hindurchpassen.

Diese Mauer trifft besonders jene, die sich nicht nahtlos anpassen können oder wollen: neurodivergente Menschen, für die konstante Erreichbarkeit und Reizüberflutung belastend ist. Eltern und pflegende Angehörige, die Flexibilität brauchen, die über den bloßen Anspruch hinausgeht. Introvertierte, die in lauten Meetings einfach untergehen. Diese Stimmen bleiben oft ungehört – und damit auch die Chance auf eine wirklich diverse, menschliche Kultur.

Die entscheidende Frage: Für wen ist diese Kultur eigentlich gemacht?

Wenn wir Unternehmenskultur ernst nehmen, müssen wir uns fragen: Für wen existiert sie wirklich? Wer profitiert, und wer kämpft leise um seinen Platz? Kultur darf kein Wohlfühlprojekt für die Mehrheit sein, die ohnehin gut ins System passt. Sie muss Raum für alle schaffen, Diversität nicht nur tolerieren, sondern aktiv wertschätzen.

Das erfordert Mut. Eine Kultur, die für alle da ist, stellt bestehende Machtstrukturen infrage, hinterfragt die üblichen Abläufe und akzeptiert, dass Veränderung nie abgeschlossen ist. Hier sind vier Schritte, die auf diesem Weg helfen können – und die jeder im Unternehmen vorantreiben kann, egal ob Führungskraft oder Mitarbeitender:

  1. Machtverhältnisse hinterfragen und aufbrechen
    Echte Kulturarbeit heißt, Machtverhältnisse zu durchleuchten, sie zu benennen und bewusst zu verändern. Wer trifft die Entscheidungen, wer wird gehört, und wer bleibt außen vor? Auch kleine Schritte können Großes bewirken: rotierende Meeting-Leitungen, offene Feedback-Runden oder Strukturen, die auch die leisen Stimmen einbeziehen. So wird Hierarchie aufgebrochen und echte Beteiligung ermöglicht.
  2. Psychologische Sicherheit schaffen
    Eine Kultur, die Zugehörigkeit schafft, braucht vor allem eins: das Gefühl, dass man Fehler machen und Schwächen zeigen darf. Psychologische Sicherheit funktioniert nicht ohne gegenseitiges Vertrauen. Und ohne Vertrauen wird es keine Kultur geben. Wenn Mitarbeitende ohne Angst ihre Meinung sagen und Kritik äußern können, entsteht Raum für Innovation – und New Work wird mehr als ein leeres Versprechen.
  3. Diversität nicht nur fördern, sondern feiern
    Ein diverses Team ist nur dann eine Bereicherung, wenn die Vielfalt sichtbar und wertgeschätzt wird. Beispiele? Teamevents, die auch neurodivergente Menschen, Eltern und introvertierte Kolleginnen einbeziehen, statt sich an den typischen Bedürfnissen der Mehrheit zu orientieren. Storytelling-Plattformen, auf denen jede*r die eigene Perspektive und Geschichte teilen kann. Solche Formate schaffen Bewusstsein für Vielfalt und stärken das Wir-Gefühl.
  4. Kultur als gemeinsame Aufgabe begreifen
    Kulturarbeit ist keine Aufgabe für das Management allein. Eine lebendige Kultur entsteht, wenn jede*r aktiv mitgestalten darf. Das bedeutet auch, dass Feedback aus den Teams ernst genommen wird – und dass Führungskräfte wirklich zuhören, wenn Mitarbeitende über ihre Bedürfnisse und Herausforderungen sprechen.

New Work als neue Verantwortung

„New Work“ sollte keine leere Hülle sein, sondern das Versprechen auf eine Arbeitswelt, die Menschen ernst nimmt. Es braucht Führungskräfte, die bereit sind, Vertrauen zu schenken und Verantwortung zu teilen. Und es braucht Allies, die sich gegenseitig unterstützen, damit Wachstum und ein Gemeinschaftsgefühl wirklich gefördert wird. Ein Umdenken ist notwendig – weg von Kontrolle, hin zu echter Autonomie. Nur so entsteht eine Unternehmenskultur, die nicht starr ist, sondern sich immer wieder selbst hinterfragt.

Fazit

Eine Kultur, die für alle da ist, ist niemals abgeschlossen. Sie ist kein perfekt inszeniertes Endziel, sondern ein fortlaufender Prozess. Doch genau das macht sie lebendig und stark. Eine solche Kultur ist nicht nur ein Versprechen, sondern der tägliche Versuch, eine Arbeitswelt zu schaffen, die sich weiterentwickelt, neugierig bleibt und wirklich für alle da ist.

Nur dann wird Unternehmenskultur mehr als eine hübsche Fassade – sie wird zu einem lebendigen System, das Raum für all jene schafft, die hier arbeiten und wachsen wollen.

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Sandra-Marie Olijslager

Über die Autorin

Sandra-Marie Olijslager ist Redakteurin und nach ihrer Teilnahme an der ersten Kohorte des GOOD CHANGE FACILITATOR Programms zertifizierte Change Facilitatorin. Sie verbindet ihre journalistische Expertise mit ihrer Leidenschaft für echten kulturellen Wandel in der Arbeitswelt. Ihr Ansatz: Eigentlich sollten wir weniger schreiben und uns mehr trauen – doch ohne gute und transparente Kommunikation geht es nicht, wenn nachhaltiger Wandel wirklich gelingen soll.

Für sie ist Kommunikation das zentrale Werkzeug, um Veränderungsprozesse klar und kraftvoll zu begleiten. Mit ihrem Gespür für die richtige Wortwahl schafft sie Räume, in denen Transformation nicht nur versprochen, sondern wirklich gelebt wird. In ihrer bisherigen Laufbahn verantwortete sie in diversen Agenturen große Kampagnen und vertieft aktuell ihre Fähigkeiten in der GOOD CHANGE FACILITATOR Training – einem Weiterbildungsprogramm für Change-Maker*innen, die nachhaltigen Wandel in Organisationen mitgestalten wollen.

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