Julia Lemmle ist seit über 15 Jahren systemische Coach und Trainerin für feministisches Empowerment. Empowerment heißt für sie neben der Selbst-Ermächtigung und Stärkung auch, wieder mehr kollektive Verbundenheit & Bewusstheit zu schaffen. Diese sind essentiell, um trotz patriarchaler Strukturen und über Generationen weitergegebenem Leid unsere innere Stimme zu hören und ihr dann auch zu folgen, um in unseren Talenten, Stärken & Werten zu leuchten!
Hallo liebe Julia, so schön, dass du heute hier bist und Lust hast, deine Weisheit mit uns zu teilen. Magst du dich kurz vorstellen und erzählen, wie es dazu gekommen ist, dass du in deiner Arbeit bewusst Rhetorik & Empowerment verbindest?
Erstmal vielen Dank für die Einladung bei tbd*, ich finde großartig, was ihr macht, weil ihr so viele wichtige Themen miteinander vereint.
Wie komme ich dazu, Rhetorik und Empowerment miteinander zu verbinden? Erstmal durfte ich Geschichte und Literatur studieren mit Schwerpunkt Gender und Postcolonial Studies. Ich sage ganz bewusst „durfte“, weil ich eine Bildungsaufsteigerin bin. In diesem Studium hatte ich eine wunderbare Dozentin, die meine Mentorin wurde. Dazu kurz: Yes, wir dürfen Mentor*innen haben! Ich finde das sehr wichtig, niemand muss irgendetwas alleine schaffen!
Bei Prof. Dr. Ursula Kocher lernte ich dann die antike Rhetorik kennen. Ich war dann Dozentin für Redetraining bzw. rhetorische Kompetenz für 16 Semester an der Freien Universität Berlin.
Die erste Säule meiner Arbeit sind 35 Jahre Bühnenerfahrung, ich wollte schon als Kind auf die Bühne, mich hat dazu jedoch niemand empowered. Ich kenne es also sehr gut, wenn man unterschätzt, bewertet und abgehalten wird. Ich galt als zu schüchtern und nerdig. Heute begleite ich Menschen in mehr Bühnenpräsenz und Sichtbarkeit und das hat sicher mit meiner Geschichte zu tun. Ich konnte also in der Uni ganz viel das Thema Bühnenerfahrung, Präsenz und Körpersprache reinnehmen und habe dann über die Jahre herausgefunden, was von dem rhetorischen Wissen für alle anwendbar ist, also das Destillat davon.
Zu dem Zeitpunkt war ich schon feministisch unterwegs, Berlin hat mich noch mehr politisiert. Dadurch habe ich gemerkt, Rhetorik ist hilfreich, wirklich komplex, und das seit über 2000 Jahren. Und gleichzeitig war Rhetorik nicht gerecht und demokratisch gedacht. Im alten Griechenland waren nicht alle Leute gemeint, die das lernen durften, Frauen nicht, aber auch viele Männer, die versklavt waren und keine Rechte hatten. Und in den römischen Rednerschulen genauso wenig.
Das heißt, ich hatte ein Dilemma: Ich fand Rhetorik super, aber ich war auch Feministin. Was nun? Ich habe mein eigenes Format gegründet, Rhetorik Empowerment Training für Frauen & FLINTA*. Es geht darum hilfreiche Instrumente mit denen zu nutzen, die sich für mehr Gerechtigkeit einsetzen.
Sehr, sehr spannend. Wie läuft das in deiner täglichen Arbeit? Wie bringst du Rhetorik und deine Ideale/ gesellschaftlichen Vorstellungen zusammen? Wie denkst du Rhetorik anders? Hast du ein Beispiel, was anders ist als im „klassischen“ Sinne?
Ganz zentral ist, dass ich die Quellen der Überzeugung nach Aristoteles anders, nämlich herrschaftskritisch frame. Ich denke Diskriminierung mit und erkläre warum eben nicht jede Person als Expert*in wahrgenommen wird, egal wie gut ihr Redeauftritt ist. Aber es geht hauptsächlich ums Tun, Erleben & Üben und deshalb viel um die Methoden. Es geht darum, wie Menschen miteinander umgehen. Wie gehe ich mit meinen Teilnehmenden um, und welchen Kontakt, welche Verbindung, welche Energie, welche Wertschätzung haben wir füreinander? Und das würde ich sagen, unterscheidet sich schon mal grundsätzlich.
Denn leider passiert immer noch ganz oft unter dem Stichwort Rhetorik viel Be- und Abwertung. Die Rhetorik Trainer sind häufig Cis-Männer mit der Haltung: „Ich bin der Experte, ihr habt keine Ahnung.“ oder „Du bist schon fantastisch, du bist ein Naturtalent.“ Also es gibt ganz oft ein Ranking unter Teilnehmenden und ganz viel Konkurrenz.
Mir haben schon sehr viele Menschen gesagt, dass ein Rhetorik Training für sie eigentlich re-traumatisierend war, weil sie ohne Gruppenprozess, ohne Aufwärmung, ohne Safety, ohne Vertrauen zu können, nach vorne gestellt wurden. Also vorne stehen ist für die meisten Menschen super krasser Stress. Selbst für mich, obwohl ich das beruflich jetzt schon so lange mache und über 30 Jahre Bühnenerfahrung habe.
Für Introvertierte, die vielleicht sogar Redeangst haben, noch viel mehr. Und das wurde und wird immer noch in vielen Trainings so gemacht. Jemand soll nach vorne gehen und dann bewerten wir das alle einmal.
Mit diesen Erfahrungen gehen Leute dann raus und sind null empowered im Sinne von, „Hey, meine Botschaft ist wichtig. Ich darf wichtig sein. Ich darf sichtbar sein. Ich bin eine Expert*in“, sondern die gehen da raus und denken: „Fuck, alle haben meine Unsicherheit gesehen. Und die wurde mir dann noch fast demütigend präsentiert.“
So gehe ich natürlich nicht vor. Wenn du zu einem meiner Trainings kommst, fange ich nicht mal mit einer Vorstellungsrunde an. Denn schon diese macht vielen Druck. Das ist für mich eine unvorbereitete, „ins Wasser werfen“, Situation. Ich übe natürlich mit den Leuten, aber halt anders. Die erste Interaktion, die du als Teilnehmende machst, ist in einem Zweier-Breakout oder in einer Zweier-Präsenzsituation eine Frage zu beantworten unter dem Thema Ressourcenaktivierung.
Warum? Um sowas Krasses zu machen, wie alleine mit meiner Meinung, meinem politischen Appell vor einer Gruppe zu stehen, brauche ich erstmal Energie.
Und die hole ich nicht daher, dass ein „Trainer“ mir vorne sagt, „das ist die perfekte Rhetorik, let's go" oder "Du hast es nicht geschafft, schlecht“. Das ist einfach nur Patriarchat. Rhetorik ist eben nicht per se mit politischem Empowerment gedacht, deshalb habe ich die 2 Begriffe vereint. Mein Fokus liegt erstmal darauf, wo überhaupt meine Kraft, meine Energie herkommt, und zwar nicht abstrakt nur im Kopf, sondern wirklich im Körper.
Nachdem wir diese Übung auswerten, kommt erst die Vorstellungsrunde. Diese Vorbereitung führt dazu, dass sich die Leute auch ganz anders vorstellen, das sind alles schon rhetorische Erkenntnisse.
Es gibt ein großes Missverständnis, wenn Leute sagen, das ist ja “nur Rhetorik”. Wir können Inhalt und Form nicht trennen, das sehen wir ja jetzt auch in der Politik. Da komme ich viel zu den schmerzhaften Sachen, wer „Remigration“ sagt, kann hinzufügen, „das ist ja nur Rhetorik, wir meinen es anders“, aber Inhalt und Form sind nicht trennbar voneinander. Und wer sich anstrengt und eben sagt, Teilnehmende oder Teilnehmer*innen, ändert durch die Form sofort den Inhalt.
Wie mache ich es jetzt anders? Die Form, die Methoden, die Art des Lernens müssen anders sein, als wir ganz oft im Kapitalismus und im Patriarchat beigebracht bekommen. Dieses "etwas wird nachgeahmt und dann gibt es Noten 1 bis 6", gibt es bei mir nicht.
Du arbeitest mit ganz vielen unterschiedlichen Menschen aus verschiedenen Bereichen. Merkst du Unterschiede bei den Gruppen oder auch Gemeinsamkeiten in gelernten Mustern? Wo zeigt sich vielleicht das Patriarchat? Wo merkst du, hier gibt es Arbeit?
Danke für diese wichtige Frage. Also erstmal habe ich mit verschiedenen Generationen zu tun. Die Menschen, mit denen ich arbeite, sind zwischen 16 und 72. Meine jüngste Coachee ist 16, super toll, mit ganz viel Awareness für viele Themen. Sowieso, die junge Generation ist so faszinierend für mich, da lerne ich immer ganz viel. Wenn viele Generationen zusammentreffen, kann so ein kollektives aufeinander Zugehen geschehen, ein Moment von Collective Healing.
Das andere ist, dass ich mit vielen verschiedenen Berufsgruppen arbeite. Einmal Studierende wirklich aller Fachrichtungen wie Jura, Biologie, Physik. Ich durfte viele Jahre das Mentoring-Programm an der Charité für Pflegeberufe und Stationsleitung begleiten und gestalten. Außerdem arbeite ich im Gewerkschaftskontext, da haben wir auch nochmal ganz andere Berufe. Und dann durch meinen Performance- und aktivistischen Hintergrund bei Bühnenwatch auch im Theaterbereich.
Jede dieser Berufs-Gruppen glaubt, dass ihre Art zu kommunizieren und zu sein, und auf meine Übungen zu reagieren, die Wahrheit ist. Ungenannte Prämissen sind da, bevor ich überhaupt den Raum betrete. Wenn Julia mit uns atmet, ist das halt lächerlich, „ich dachte wir lernen hier was, jetzt atmen wir“. Die Gruppe der Schauspielenden sagt das natürlich nicht. In deren Realität, in deren System, ist total klar, der Körper und der Atem müssen mitgenommen werden, um überhaupt diese Präsenz und Professionalität auf der Bühne zu haben.
Diese unterschiedlichen Wahrheiten nebeneinander sehen zu dürfen, ist bereichernd. Ich bin immer so ein bisschen wie Alice im Wunderland. Ich komme zu einer Gruppe für die alles klar und “normal” ist und ich darf es von außen betrachten und hinterfragen.
Um das nochmal konkret zu machen, ich mache immer eine Übung, Co-Counseling, da geht es eigentlich nur ums Zuhören, die ist sehr, sehr deep. Alle, die Sharing Circle kennen, wissen, wie tief sowas ist. Für die Pflegekräfte sind 3 Minuten oft viel zu lang, da kommt dann auch gerne mal ein „das ist eine schreckliche Übung“. Bei den Schauspieler*innen erhöhe ich die Zeit auf sechs Minuten und sie sagen danach „das war viel zu kurz, Julia“.
Es ist auch lustig - ganz menschlich und liebevoll gemeint. Das zeigt mir, wie tief wir in unserem System und gerade auch in unserem Berufssystem, in unserer „Norm“ stecken. Das Wort normal kommt ja von Norm, das ist eines meiner Lieblingsrhetorik-Beispiele, wenn wieder jemand sagt, ist doch normal oder nicht normal. Jede Berufsgruppe hat eine Norm.
Und jetzt zu den ähnlichen Mustern. Da würde ich schon sagen, sind es die großen Themen im Sinne von, wie ist unsere Gesellschaft aufgebaut, also Herrschaftsstrukturen. Und ich würde zum Beispiel berufsübergreifend hinweg sagen, „Gender“, „Erziehung“, „eine Frau sein“, „ein Mädchen sein“, da sind die Gruppen sehr ähnlich. Da spielt das Alter auch keine Rolle mehr. Die Grundideologie ist, als Frau oder Mädchen ist es die Aufgabe zu schauen, dass es allen anderen gut geht, egal ob beruflich oder privat. Die eigenen Bedürfnisse fallen hinten runter und das zeigt sich in der Rhetorik, wenn wir Schwierigkeiten haben, auszudrücken, was wir uns wünschen oder eigentlich sagen wollen.
Genauso bei rassistischen Diskriminierungen oder Ageism - Diskriminierung aufgrund von Alter. Die einen erleben „ich bin jung und deswegen keine Expertin“ oder „ich bin alt, nicht „up-to-date“ und deswegen auch keine Expertin“.
Jede Herrschaftsstruktur zeigt sich natürlich auch im eigenen Muster. Als Frau* muss ich erst mal gucken, was alle anderen brauchen. Den eigenen Standpunkt vertreten, ist da eine viel größere Hürde. Auch sprachlich ist das sehr interessant: „Ich stehe dazu“, „Das ist mein Standpunkt“. Ich mache dazu gezielt Körperübungen. Und dann ist der Körper der Erste, der dieses Muster zeigt. Ich mache auch ganz viel zum Thema "Nein sagen". Da geht es um Souveränität und Stabilität und dazu stehen. Du siehst an meiner Körpersprache direkt, ob ich mein Nein oder meinen Standpunkt ernst meine oder direkt wieder zurücknehme.
Kannst du darauf etwas eingehen? Du arbeitest oft mit Menschen, die wirklich was verändern wollen in der Welt und gerade deswegen den Wunsch haben, Rhetorik & Empowerment zu machen, weil sie was erreichen möchten, aber sich oft unsicher fühlen und sich nicht trauen, ihre Stimme zu erheben. Ist das auch Teil deines aktivistischen Anspruches, warum du genau diese Arbeit so machst? Also Rhetorik, um unsere Welt zu verändern?
Also erstmal würde ich richtig hart sagen, Rhetorik kannst du auch nehmen, um unsere Welt zum Schlimmsten zu verändern. Als Historikerin ist mir Geschichte natürlich sehr wichtig. Bei Hitler würden viele sagen, er war ein guter Rhetoriker. Als Beispiel, vor kurzem erst wieder passiert, hat ein Trainer in einer Gruppe Frauen gesagt, “ihr müsst das so machen wie Trump”. Da bin ich direkt mit ihm in kritischen Dialog gegangen.
Einmal finde ich es schon empowernd und emanzipatorisch zu verstehen, wie rhetorische Überzeugung funktioniert. Eine analytische Distanz aufzubauen kann sehr hilfreich sein, nicht nur um zu begreifen wie Lügen und faschistische Aussagen als glaubwürdig wahrgenommen werden von einer bestimmten Personengruppe, sondern vor allem um die eigenen Werte klar und überzeugend darzustellen. Rhetorik allein macht die Welt nicht besser. Das ist schon eine antike Diskussion - damals hieß es, ein guter Redner sollte ein vir bonus - ein moralisch guter Mann sein.
Ich sehe meinen Beitrag darin, Rhetorik mit feministischem Empowerment zusammenzubringen. Wenn du voll in deiner Kraft bist, dann nützt das der Gesellschaft am meisten. Meine Trainings ziehen nur Menschen an, die wirklich tiefe Werte haben wie Gerechtigkeit, Solidarität, Stärkung, Verbundenheit und Community.
Rhetorik gibt Analyseinstrumente an die Hand, um sich nicht nur die Haare zu raufen, warum jemand gewählt wird, obwohl er nur lügt. Denn das ist ja schon krass für uns Menschen. Da lügt jemand die ganze Zeit und die Leute wählen den. Das lässt einen verzweifeln. Und da sage ich mir, okay, lasst uns dieses Analysewissen jetzt nutzen für die Sichtbarkeit und die Standfestigkeit unserer Werte. Darum geht es mir. Deshalb docke ich bei dieser antiken Rhetorik an, das ist sehr komplex, sehr ausführlich, was die sich überlegt haben. Und dann lässt sich leicht erkennen, warum ich sage, Rhetorik allein, nein danke.
Bei Rhetorik geht es nicht um Werte, das Ziel ist zu überzeugen. Ein kleines sprachliches Nugget: „Arguere“, lateinisch für argumentieren, heißt nicht, die Wahrheit sagen. Es heißt auch nicht Fakten bringen. Es heißt, etwas als überzeugend darstellen. Deswegen gelten ganz viele Sachen, wo wir sagen, das ist eine Lüge, eine Falschaussage, falsche Fakten oder einfach nur Nonsens, als Argument in der Rhetoriklehre.
Und das mal so zutiefst zu verstehen und dann oft schmerzhaft zu realisieren, es reicht leider nicht, dass ich tolle Inhalte habe. Und dann geben mir immer alle recht, weil es auch ihre Erfahrung ist. Menschen haben tolle Inhalte oder Argumente, Zahlen & Statistiken zu Themen wie Racial Profiling oder Gender Pay Gap auswendig gelernt, aber haben sie am Ende damit die Leute überzeugt? Ganz oft leider nicht. Und da dürfen wir mit einem selbstemanzipatorischen Blick hinschauen und herausfinden, wie möchte ich Rhetorik nutzen?
Und das heißt überhaupt nicht, dass irgendwer seine Werte aufgeben muss. Da gibt es so ein Missverständnis, dass man seine Werte aufgeben und „populistisch“ reden muss, wenn man überzeugend sein will, das stimmt nicht.
Eines der wichtigsten Dinge der Kommunikation ist Beziehungsarbeit. Und das steckt in der Rhetorik drin. Und das wird oft als anstrengend empfunden, weil Leute sich denken, ich habe es doch ganz klar und mit allen Daten dargelegt, warum geht es jetzt um Beziehungsarbeit? Wir sind oft nicht überzeugend, weil wir die Beziehung zum Gegenüber vernachlässigen.
Und auch ein Klassiker ist Schnelligkeit. Menschen kommen zu mir und wollen den Konflikt mit XY lösen und zwar schnell. Das zeigt sich auch in unserer Gesellschaft, es muss immer schnell gehen, alles soll sich schnell lösen. Mit den dazugehörigen Gefühlen auf allen Seiten zu sitzen, ist unvorstellbar. Menschen kommen zu mir und sagen, du bist Rhetoriktrainerin, du sagst mir zwei Tricks, maximal drei und dann tut der, was ich will.
Und ich verstehe das, wir alle haben doch mal diesen Wunsch, oder? Gib mir ein Rezept und fertig. Wenn man sich das näher anschaut, kommen wir natürlich wieder auf das Patriarchat, aber auch Kapitalismus und gerade Kolonialprozesse, koloniale Ausbeutung, spielen eine große Rolle, weil sie alle ein mechanisches Verständnis von Menschsein vereint. Ich gebe 1,2,3 rein und A, B, C kommt raus. Mit dieser Art von Kommunikation- und Rhetoriktraining machen vor allem mehrheitlich Männer, leider sehr sehr viel Geld. Das sind dann so Titel wie "Ich sage dir, wie du immer die Oberhand behältst." Ich sage dir, wie du Gesichter lesen kannst und dann immer weißt, wie du das kriegst, was du willst." Das ist sehr manipulativ und ich sage auch in meinen Trainings ganz direkt, sowas unterrichte ich nicht. Es ist unsere Verantwortung, wie wir Werkzeuge, auch das der Rhetorik, nutzen. "Every weapon can be a tool, every tool can be a weapon.". Audre Lorde hat gesagt: "the tool of the master will never dismantle the master's house". Wenn ich Rhetorik als Werkzeug manipulativ einsetzen will, dann werde ich die dazu passende Methodik auch nicht hinterfragen.
Ich bekomme häufig Feedbacks wie:
- Wow, die Zeit ging so schnell vorbei.
- Das war ganz anders als andere Seminare.
- Ich habe mir das ganz schlimm vorgestellt.
- Ich hatte Angst vor der Übung, aber ich wurde hier super supported. Ich fühle mich voll wohl hier mit der Gruppe.
Und genau das meine ich mit feministisches Empowerment in die Rhetorik bringen. Wenn Menschen sich so fühlen und nach dem Training rausgehen mit: "Wow, ich weiß jetzt, wie gut ich bin und was ich kann. Ich darf meine Expertise und meine Meinung zeigen. Und all das habe ich sogar in einer Gruppe geschafft!" Das ist so ein wichtiges Erlebnis. Darum mag ich Gruppentrainings nach wie vor, diese gegenseitige Unterstützung ist sehr wichtig.
Wie du eben sagst, ich bin ja nur mit Leuten, die so wichtige Beiträge leisten, überall auf der Welt. Seien sie jetzt Oberärztin, Pflegekraft, in einer Gewerkschaft aktiv oder Aktivistin.
Gibt es Momente, wo dein Herz einfach aufgeht, wo du sagst, wie geil, dass ich diese Arbeit machen darf?
Ehrlich gesagt, die gibt es ganz oft. Ein Highlight war wirklich einmal, wo 2 Menschen mit 50 Jahren Altersunterschied über Transsein gesprochen haben. Ich kriege jetzt schon wieder Gänsehaut. Das war so ein Moment, wo ich denke, wann passiert das schon einfach so in unserer Gesellschaft? Und sie haben wirklich im Rahmen des Trainings mit so viel Achtsamkeit, Empathie und wirklichem Zuhören kommuniziert. Und da muss ich auch nochmal sagen, die junge Generation ist auf die ältere zugegangen. Ich war so, wow. Ich hatte vorher auch meine Position klar gemacht, weil ich in dem Fall die Leitung bin und für das Framing des Trainings und des Umgangs miteinander verantwortlich bin. Und ihr werdet von mir nichts anderes hören, wenn es darum gehen sollte, sich bei sowas „rauszuhalten“ oder sich „neutral“ zu verhalten als Leitung.
Ich bin wie gesagt Historikerin und gerade beim Thema Transsexualität zeigt sich deutlich in der Geschichte, es gab noch nie nur zwei Geschlechter. Das ist absurd, es ist ein Konstrukt des Herrschaftssystems. Aber es sitzt natürlich tief drin durch Brainwash, Prägung, Dogma. Rhetorik ist deshalb auch viel nachzufragen: “Warum glaubst Du das?” Wo in deinem Leben hat es eine Rolle gespielt?”
Und andere Highlights z.B. beim Einzelcoaching sind, wenn Leute sagen, „Ich fühle mich leichter.“ „Ich fühle mich weniger belastet.“ „Ich fühle, dass diese Stimme, die sagt, du schaffst es eh nicht, du darfst es nicht oder du kommst da nie raus, kleiner wird, und sich neue Möglichkeiten eröffnen“.
Ich arbeite immer mit dem Körper und mit Sätzen wie „ich darf“, „ich will…“, weil das überhaupt nicht gang und gebe ist, dass Frauen & FLINTA* in unserer Gesellschaft was „wollen“. Das hört sich so krass an, aber ich habe so viele Frauen*, die sich emotional so abarbeiten. Und da steckt ja immer sowas dahinter wie: „Darf ich eine Grenze setzen? Darf ich nein sagen?“
Coaching hat manchmal so den Ruf, Menschen in die Arbeit "reinzumotivieren". Da sage ich ganz klar nein. Auch wenn ich von dem Unternehmen oder der Institution gebucht werde, bin ich für die jeweilige Person da. Und ich weiß, wenn du in deiner Stärke bist, wenn du zutiefst mit deinen Werten verbunden bist, dann gibst du der Welt am meisten. Das heißt, wenn wir im Coaching dazu kommen, dass du da kündigen musst und weggehen, dann bin ich an deiner Seite.
Ja, Dankeschön. Ich habe gerade einige Gedanken im Sinne von unserer tbd* Community, wir sind viele Impact-Driven Leute und nachhaltige Unternehmen. Ich finde, wenn man an Institutionen oder große Organisationen denkt, da erwartet man fasst, das "Patriarchat" vorzufinden, aber bei Social Start Ups, die das System kritisieren und wirklich etwas anders machen wollen, wie viel Selbstreflexion ist da vorhanden oder fühlen viele, sie machen schon alles richtig, und dann merkst du trotzdem noch, dass einige Muster kicken?
Ja, danke, da habe ich einen reichen Erfahrungsschatz aus sehr verschiedenen Rollen, das ist nochmal anders. Ich bin selber eher in Kollektiven, linken Bündnissen oder feministischen Zusammenhängen unterwegs.
Zusammengefasst kann es natürlich die allergrößte Stolperfalle sein, zu denken, "wir sind hier schon feministisch oder antirassistisch und wir müssen nichts mehr lernen". Diese Grundhaltung von „ich kann es schon, ich muss nichts mehr lernen, ich gehöre zu den Guten“, ist so, so, so problematisch, egal, wo wir sie finden, weil sie auch dogmatisch ist.
Ich mag den Sookee Song, wo sie singt, "Viele sein tut gut, viele sein beruhigt, viele sein beruht auf Miteinander [...], leider sind wir auch ein bisschen dogmatisch." Vielen Dank für diese Selbstkritik, sage ich da. Vor allem aus den eigenen Reihen ist das oft nicht selbstverständlich. Viele denken, sie wissen genau, wie es läuft, was die Begriffe sind, jede*r muss Marx gelesen haben oder mindestens Butler. Das finde ich schon problematisch. Und ja, ich glaube, gerade sehr impact-driven Leute, und da zähle ich mich dazu, wir dürfen immer und immer wieder einen Schritt zurückgehen und uns auch mal spiegeln lassen.
Demut hört sich vielleicht krass an, aber ist für mich wichtig, um in Verbindung zu sein. Wer bin ich, um zu sagen, was genau die eine richtige Lösung ist? Wir müssen auch nicht so unbarmherzig in linken Diskussionen miteinander umgehen, wie ich es oft erlebt habe. Wir könnten mehr vom Kopf in den Körper und in die Beziehungsebene kommen. Das war auch zentral für mich, um meinen eigenen Rassismus zu erkennen und Stück für Stück aufzulösen - auch wenn dann immer wieder was Neues kommt, einfach dran bleiben. Um das tun zu können, bin ich den ganzen Schwarzen Autor*innen und Lehrer*innen, die ich in meinem Leben hatte, einfach unendlich dankbar. Also wer wäre ich, wenn ich das nicht hätte alles lernen dürfen?
Und gleichzeitig war für mich eines der wichtigsten Learnings etwas, was leider ganz oft in weißen Räumen passiert. Weiße Menschen, die schon zehn Bücher mehr gelesen haben, ich sag das jetzt mal so plakativ, putzen andere runter, weil die es noch nicht verstanden haben, was Falsches gesagt haben und Menschen teilweise echt fertig gemacht werden. Ich mache seit vielen Jahren antirassistische Arbeit, also kritisches Weißsein, Privilegiensensibilisierung für Leute wie mich, weiße Menschen, die keine Rassismuserfahrung haben.
Mit antirassistischen Workshops wird oft in Verbindung gebracht, dass die eigenen Fehler aufgezeigt werden, mit Fingern auf Leute gezeigt wird oder sie fertig gemacht werden, weil sie noch nicht genug verstanden haben oder noch nicht genug verinnerlicht haben oder das Falsche gesagt haben. Dazu sag ich immer, das ist nicht kritisches Weißsein, das ist einfach nur Weißsein!
Und diese Dynamik, die gibt's oft in Gruppen, die halt sagen, wir wollen das Gute und stehen auf der Seite der Guten, wo ich sagen würde, "this is the tool of the master". Hierarchien, andere fertig machen, kein Raum für die Beziehungsarbeit.
Und darauf will ich hinaus, auf die eigene Ambivalenz, weil gerade bei Weißsein war es für mich so wichtig, zu begreifen, wo ich selber stehe:
"Julia, du hast das auch mal alles überhaupt nicht verstanden, du hast auch mal alles falsch gemacht und guess what, du bist auch noch gar nicht am Ende, auch wenn du das jetzt schon seit 20 Jahren machst, also dich wirklich damit beschäftigst, ich meine nicht ein Buch gelesen, sondern permanent damit beschäftigst und auch permanent drauf kommst, oh fuck, schon wieder eine Leerstelle, oh man, was hab ich denn da gedacht?"
Ich habe zum Glück gelernt, weniger Dinge zu sagen, aber sind deswegen meine Gedanken alle frei von rassistischer Sozialisierung? Nein, das ist so tief drin! Es braucht die Akzeptanz der eigenen Ambivalenz: Ich will ein guter Mensch sein und gleichzeitig denke ich rassistisch. Die meisten weißen Deutschen können sich überhaupt nicht vorstellen, mit dieser Gleichzeitigkeit klarzukommen.
Stattdessen bleibt das Entweder-Oder zentral, das füttern faschistische rechtspopulistische Aussagen und Parteien. Wenn “wir” ausschließlich auf der Seite der Guten sind, weil “wir” so viel Angst davor haben, unsere Täter-Verantwortung auch nur anzusehen, dann müssen zwangsläufig andere gefunden werden, die die “Bösen” sind. Geschichte wiederholt sich, weil diese Traumata nicht aufgelöst wurden. In der Psychologie heißt das Wiederholungszwang.
Ich sage immer zu meinen Coachees die nach Deutschland gezogen sind und sich so oft schlecht fühlen, “falsch” fühlen - Ihr fühlt alles richtig, ihr seid empathisch, aber in einem Land, einer Kultur, die unempathisch, dissoziiert und traumatisiert ist. Man kann das auch als weiße Deutsche mit Nazi-Hintergrund klar wahrnehmen. Es ist möglich. Dazu dürfen sich auch weiße Priviligierte untereinander ermutigen und Verantwortung übernehmen.
Defizitorientierung ist auch sehr ausgeprägt. Wir sehen nur, was mangelhaft ist, verbessert werden muss und wir sagen uns auch gegenseitig gar nichts Wertschätzendes, das ist natürlich furchtbar, auch für die Energie, aus der wir was kreieren wollen. Statt Defizitorientierung lieber mehr Wertschätzung und Fehlerfreundlichkeit. Mit Ambivalenz umgehen können. Ressourcenorientiert handeln.
Als Beispiel, wie wir Dinge sehen können: "Wir sind gute Menschen und haben jetzt trotzdem was Böses gemacht" oder"Ich will was Richtiges erzielen und hab was Falsches gesagt"... und jetzt darf ich lernen und Verantwortung übernehmen. Ich würde sagen, die Dinge nicht differenziert zu betrachten, ist so ein Muster, was bei allen Berufsgruppen sichtbar wird und das hast du eben aber auch gerade bei denen, die sagen, sie haben alles durchschaut, machen es ganz anders. Das ist für mich einfach das gefährlichste Selbstbild, was man haben kann.
Ja, wow. In meinem Kopf passiert gerade einiges, du meintest zwar mit Rhetorik retten wir nicht die Welt, aber Rhetorik verbunden mit Empowerment kann einiges bewirken. Wenn wir uns Beziehungen angucken und wirklich wieder auf menschlicher Ebene zusammenkommen, da kann sich so viel bewegen.
So ist es. Und: es darf auch Spaß machen! Das habe ich von meiner anderen grandiosen Mentorin, mittlerweile Freundin, Deborah Ruggieri gelernt. Wir dürfen noch viel mehr Spaß haben und in die Freude gehen. Da hilft natürlich mein Performance Hintergrund, es geht auch um die Energie. Gerade jetzt passiert so viel Schlimmes auf der Welt, da ist viel Angst, Verzweiflung und natürlich auch eine reale Gefahr und gleichzeitig will ich mich jetzt nicht der Verzweiflung und Resignation hingeben, vor allem nicht, wenn ich mich darauf fokussiere, was es für unfassbar engagierte Menschen und starke Projekte gibt. Das ist auch Empowerment für mich, wenn ich sehe, was für krasse Menschen, vor allem FLINTA* losgehen in Bereichen, wo ich niemals sein werde. Egal ob neurolinguistische Programmiererin, Oberärztin oder Wissenschaftlerin, ich weiß, wir teilen die gleichen Werte und das ist für mich der Schlüssel.
Wir dürfen so sehr aus diesem Konkurrenzding rauskommen, gerade im Politikdiskurs. Wir brauchen alle. Straßenblockadeaktivismus, Parteiarbeit, Laut werden in deiner Familie.
Ja, richtig gut. Wir dürfen viel mehr zuhören, beobachten, reflektieren und ausprobieren. Das lieben wir bei tbd* und UBL ja sowieso sehr. Im Kollektiv zusammenkommen und einfach mal was ausprobieren und dann sehen wir ja, ob es klappt. Hauptsache, wir gehen los und "meckern" nicht nur die ganze Zeit über alles, was uns stört, sondern werden aktiv.
Ja und auch diese strikte Abgrenzung von Arbeit und Leben aufzuheben ist wichtig. Hier erlebe ich oft Widerstand im Training. Bei der ersten Übung zur Ressourcenaktivierung ist die Frage, “was war heute schon positiv?” Da haben mir Leute schon gesagt, “ich bin hier beruflich, ich spreche nicht über meine Gefühle”. Es geht bei der Übung gar nicht um Gefühle, aber das zeigt, wie wir dogmatisch Dinge ausschließen. Was wäre denn, wenn ich einfach mal was ausprobiere? Da gehört Fehlerfreundlichkeit dazu, viele sind jedoch durch das Schulsystem so traumatisiert, dass sie denken, sie dürften jetzt z.B. in der freien Redeübung keinen Fehler machen, weil sie sonst fertiggemacht werden.
Deswegen ist für mich die feministische oder emanzipatorische Arbeit, ganz viel auf dieser tiefen Ebene zu sagen, du darfst hier was ausprobieren, du wirst nicht bewertet oder benotet. Erweiterung und Lernen geschieht nur durch Ausprobieren. Heiße die Fehler willkommen - toll, wenn es in der Übung “schief” läuft, sage ich auch immer.
Wir sind leider in einer Kultur groß geworden, die genau das Gegenteil macht. Wir probieren nichts aus, müssen es direkt richtig machen. Das ist eine koloniale Vorgehensweise, nur wenn wir so abgekoppelt sind von unserer eigenen Erfahrung und damit unserem Körper, können wir auch die Erde ausbeuten. Das gehört zusammen. Auch unsere Kommunikation im Alltag ist von diesen Strukturen geprägt.
Ja, so wichtig, vielen Dank dafür! Magst du zum Schluss noch kurz sagen, was als nächstes ansteht?
Ja sehr gerne, am 16. Februar gebe ich für alle interessierten Frauen & FLINTA* mein Ganztages Online Rhetorik Empowerment Training. Dass das Training öffentlich ist, ist eine Premiere weil ich immer wieder danach gefragt werde.
Jede Person ist willkommen, egal was Du machst, ob Du öffentliche oder berufliche Redesituationen vorbereiten möchtest oder privat Anregungen für unterschiedlichste Kommunikationssituation suchst.
Wir werden im Training viel mit dem Körper arbeiten, wir üben, wir probieren aus und stärken uns gegenseitig.
Ich lade euch, die tbd* Community, ganz exklusiv zu günstigeren Konditionen (alle Infos + Promo Code weiter unten) ein. Ich freue mich sehr auf euch!
Yes, ich werde auch dabei sein und freue mich schon sehr darauf! Und generell auf alles, was du noch in die Welt bringst! Ein herzliches Dankeschön für dieses inspirierende Gespräch, für dein Sein und deine wichtige Arbeit.
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Feministisches Empowerment wird in allen Bereichen und für alle gebraucht! Julia sieht es als ihre Berufung, Menschen (wieder) in Kontakt mit ihren Werten zu bringen und sie durch alltagstaugliche Übungen darin zu stärken, diese Werte – auch gegen Widerstände – in der Gesellschaft zu leben. Sei bei ihrem nächsten Rhetorik Empowerment Training für Frauen & FLINTA* am 16.02.2024 dabei. Mit dem Promo Code TBDLOVE bekommst du exklusiv nochmal 30% Rabatt.