Vom Widerstand gegen den Widerstand…

… und wie wir ihn durch Gewaltfreie Kommunikation zu einer wichtigen Ressource werden lassen können

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von Tamara Harmsen, August 14, 2024
Mann, verschränkte Arme, Kamera fotografiert von unten

»Das haben wir schon immer so gemacht«

Skeptische, verschwörerische Blicke, Augenrollen, verschränkte Arme, Tuscheln, Kichern, zynische Kommentare, herausfordernde Fragen. Jede Person, die schon einmal einen Veränderungsprozess in einer Organisation begleitet oder als Teil einer Organisation erlebt hat, kennt sie: Widerstände. Mal offen, mal subtil können sie die Stimmung im Team erheblich belasten, den Prozess zumindest behindern, wenn nicht gar lähmen. Auf den ersten Blick lästig und anstrengend, auf den zweiten Blick eine wertvolle Ressource in jedem Transformations- oder Change-Projekt.

»Das funktioniert nie!« VS »Hm, interessant…«

Widerstände in Veränderungsprozessen treten in den unterschiedlichsten Formen auf – mal laut und sichtbar, mal leise und unterschwellig. Ob durch offenen Protest, Kritik, Vorwürfe, Drohungen, Sabotage, Verweigerung, das Verbreiten von Gerüchten oder Schweigen, zynische Kommentare, sarkastische Scherze, Verzögerungstaktiken, Unaufmerksamkeit oder Abwesenheit – Widerstand hat viele Gesichter. 

All diese Formen spiegeln das Verhalten von Mitarbeiter*innen wider, geplante Veränderungen bewusst oder unbewusst zu blockieren, indem sie diese ablehnen, untergraben oder einfach nur passiv am Rand stehen bleiben und sich nicht aktiv am Prozess beteiligen.

»ALARM!« – Woher kommen Widerstände?

Die Ursachen von Widerstand sind vielfältig. Oft verbergen sich dahinter Unsicherheiten und Ängste, z.B. vor dem Verlust von Sicherheit, Status, Klarheit und Berechenbarkeit, Autonomie, Zugehörigkeit und Fairness.

Doch was passiert in unserem Kopf? Unser Gehirn prüft jede Veränderung erst einmal auf Herz und Nieren. Dieses Prozedere vollzieht sich im limbischen System, wo unsere Emotionen verarbeitet werden. Unsere emotionale Schaltzentrale, die Amygdala, entscheidet blitzschnell, ob eine Veränderung eine Bedrohung darstellt oder vielleicht doch eine Chance sein könnte.

Wird die Veränderung als Bedrohung wahrgenommen, schlägt die Amygdala Alarm. Die Folge: Stresshormone wie Noradrenalin und Cortisol durchfluten den Körper und versetzen ihn in einen Notfallmodus. Defensive Reaktionen – wie KAMPF!, FLUCHT! oder STARRE! setzen ohne unser bewusstes Zutun ein – allesamt wichtige Schutzmechanismen, die sich als Widerstand gegen die Veränderung manifestieren.

Also sind Widerstände immer cool?

Achtung: Suggestivfrage. Was passiert, wenn wir Widerstände nicht als Frühwarnsystem verstehen? Wenn wir ihnen keine Beachtung schenken oder sogar versuchen, sie zu unterdrücken?
Im schlimmsten Fall scheitert eine Veränderung, die sich positiv auf uns hätte auswirken können. Widerstände gegenüber einer Veränderung können einen Rattenschwanz verschiedenster Risiken nach sich ziehen. Widerstände können zu Verzögerungen von Prozessen und damit einhergehenden Kostensteigerungen führen. Dies löst unter Umständen den Wegfall wichtiger Supporter*innen aus. Der nächste Dominostein könnte eine hohe Fluktuation unter den Mitarbeitenden sein. Nicht zuletzt seien persönliche wie professionelle Risiken erwähnt: Stress, Burnout und Reputationsverlust. Sind Widerstände immer cool? Wenn wir sie nicht zu deuten wissen, fällt unsere Antwort eindeutig aus: nein.

Don’t be a Ned – Meistere Widerstände und lenke Veränderung konstruktiv zum Erfolg ohne den Kopf zu verlieren

Zugegeben:
Widerstände sind Energy-Egel. Widerstände sind Konflikt-Knoten.
Widerstände sind Belastungs-Ballast.

Hier sind drei Tipps, wie du sie konstruktiv mit ihnen umgehst:

1. Erkenne Vorteile in Widerständen

Zuallererst ist deine innere Haltung gegenüber Widerstand entscheidend. Widerstand ist eine natürliche Reaktion auf Veränderungen und ein Zeichen dafür, dass sich die Betroffenen intensiv mit Wandel auseinandersetzen. Widerstände erfüllen Funktionen:

Widerstand = Energie

Widerstand verleiht Veränderungsprozessen neuen Schwung. Diese Energie kann gezielt genutzt werden, um Wandel voranzutreiben und innovative Lösungen zu schaffen. Wenn du sie in die richtigen Bahnen lenkst, verwandelt sich Widerstand in einen kraftvollen Motor.

Widerstand ≠ Schnellschüsse

Widerstand zwingt dazu, Veränderungspläne gründlich zu überdenken und sicherzustellen, dass sie tatsächlich gut durchdacht sind. So schützt er die Organisation vor übereilten oder schlecht geplanten Entscheidungen.

Widerstand = Informationsquelle

Aus der Perspektive der Gewaltfreien Kommunikation ist jedes menschliche Verhalten ein Versuch, grundlegende Bedürfnisse zu erfüllen – auch das Verhalten, das wir als Widerstand wahrnehmen. In der systemischen Organisationsentwicklung wird Widerstand ebenfalls als wertvoller Indikator dafür betrachtet, was im System tatsächlich vor sich geht.

Widerstand → Reflexion

Widerstand entfacht Diskussionen, die eine tiefere Auseinandersetzung mit den geplanten Veränderungen anstoßen. Das fördert nicht nur klügere Entscheidungen, sondern steigert auch die Akzeptanz der Veränderungen im Team.

2. Don’t be a Willy – Höre gut zu, sei empathisch und gehe Widerständen auf den Grund.

Widerstände sind ein Versuch, sich wichtige Bedürfnisse zu erfüllen, hätte Marshall Rosenberg, der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, wohl zu diesem Thema gesagt. Anstatt Widerstände zu ignorieren, zu unterdrücken oder zu bekämpfen, können Empathie und Verständnis selbst bei jemandem wie Willy Wonka wahre Wunder bewirken, auch wenn er zunächst hartnäckig auf »Tell me more, I’m not listening“ beharrt«. Solange Willy Angst hat, weil er Sicherheit und Beständigkeit braucht und diese durch die Veränderungen bedroht sieht, können Berater*innen und Führungskräfte ihm noch so oft die Vorteile von Programm XY vorbeten – er wird höchstwahrscheinlich nicht offen für sachliche Argumente sein. Deshalb gilt: Beziehungsebene first.

Der erste Schritt ist aktives Zuhören, ohne das Gesagte im Kopf ständig zu kommentieren. Welche Gefühle und Bedürfnisse stecken hinter Willys sarkastischen Kommentaren? Im Gespräch mit ihm kannst du deine empathischen Vermutungen auch in einer offenen, interessierten Haltung äußern: »Kann es sein, dass dich die neuen IT-Tools in der Schokoladenfabrik stressen und du Sorge hast, den Anschluss zu verlieren?« Frage mit aufrichtigem Interesse und sei offen dafür, wenn Willy antwortet: »Nein, darum geht es mir nicht, sondern um…«. Das schafft Vertrauen und öffnet den Raum für einen lösungsorientierten Dialog.

3. Kommuniziere transparent und schaffe Räume für Beteiligung

Transparente Kommunikation ist der Schlüssel, um Vertrauen aufzubauen und Unsicherheiten zu verringern. »Was soll das Ganze und was bedeutet das konkret für mich?« fragt sich Willy vielleicht immer noch. Sorge dafür, dass alle Beteiligten gut informiert sind und die Gründe, Ziele und den Mehrwert der Veränderung verstehen.

Binde die Mitarbeiter*innen aktiv in den Veränderungsprozess ein. Gib ihnen eine Stimme, höre ihre Vorschläge, Sorgen und Ideen. Wenn sie sich als Teil des Prozesses fühlen, steigt die Akzeptanz und die Bereitschaft, die Veränderungen mitzutragen.

Be a Spidey – mit Vertrauen, Klarheit und Akzeptanz:
So geht dir der Erfolg ins Netz

Eine Kultur, in der Mitarbeitende ihre Sorgen und Ängste offen äußern können und aktiv in die Gestaltung der Veränderungsprozesse einbezogen werden, schafft vor allem zwei Dinge: Vertrauen und psychologische Sicherheit. Buzzword-Alert – aber das Konzept von Amy Edmondson ist in Zeiten ständiger Veränderungen relevanter denn je. Wenn Mitarbeitende wissen, dass ihre Sorgen ernst genommen werden und sie keine negativen Konsequenzen für ihre Meinungen zu befürchten haben, sinkt der Widerstand – selbst bei hartnäckigen Fällen wie Willy. Mitarbeitende, die sich sicher fühlen und den Eindruck haben, gesehen und umfassend informiert zu werden, engagieren sich stärker und tragen aktiv zum Erfolg der Veränderung bei.

Fazit

Widerstände in Veränderungsprozessen sind unvermeidlich – und das ist auch gut so. Sie bewahren die Organisation vor Schnellschüssen, liefern wichtige Informationen über Spannungen und Bedürfnisse und regen zur Reflexion an. Nutze diese Energie, um den Prozess zu verbessern, höre aktiv zu, öffne Räume für Mitgestaltung, informiere transparent und etabliere eine Kultur der ehrlichen und wertschätzenden Kommunikation. Gelingt dir das, wird aus dem scheinbaren Hindernis ein kraftvoller Hebel für erfolgreiche Veränderungen.

Immer wieder Widerstände. Lass sie dich nicht entmutigen. Erst Widerstände füllen dein »Weiter« mit substantieller Bedeutung. Eigentlich sollten wir sie Weiterstände nennen.

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Tamara Harmsen

Über die Autorin

Tamara Harmsen ist agile Team- und Organisationsentwicklerin. Seit über 4 Jahren begleitet sie Organisationen in ganzheitlichen Transformationsprozessen. Sie setzt sich für einen menschenzentrierten Wandel in der Arbeitswelt ein, der auf Partizipation, Empowerment und Selbstorganisation basiert.

Als Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation (GfK) schafft sie Räume für (Selbst-)Empathie, Verständigung und Kooperation. Weiterbildungen in Systemischer Transformationsberatung, The Loop Approach© und Design Thinking gehören ebenfalls zu ihrem methodischen Werkzeugkoffer. Ihr akademischer Hintergrund ist Politikwissenschaft (BA) und Internationale Beziehungen (MA).

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