Teal beruht auf den drei Grundpfeilern: Selbstorganisation, Evolutionärer Sinn und Ganzheitlichkeit. Diese drei Werte und ihre Bedeutung lernt ihr im Laufe dieses Artikels theoretisch und praktisch kennen. Aufbauend, auf unserem ersten Artikel „warum klassische Organisationsformen ausgedient haben“ dem wir auf die Herausforderungen von hierarchisch geführten Unternehmen eingegangen sind, die den Anforderungen aus der VUCA-Welt nicht gerecht werden, steigen wir nun in die Details des Teal-Konzeptes ein.
Selbstorganisation
Teal baut auf drei Grundprinzipien auf. Selbstorganisation ist eines davon. Für Anhänger:innen des Mikro-Managements mag die folgende Erkenntnis besonders schwer zu ertragen sein: Die Mitarbeiter:innen organisieren sich und ihre Arbeit selbst. Sie dürfen sich ihre Zeit, ihre Aufgaben und ihre Rollen eigenverantwortlich aussuchen und diese untereinander aufteilen. Im Vergleich zu klassisch hierarchisch geführten Unternehmen, erkennen wir bereits an diesem Punkt gravierende Unterschiede zwischen Teal und Hierarchien. Eine klare Rollendefinition, ein eindeutiger Arbeitstitel und ein zugeteiltes Aufgabenportfolio stehen bei vielen Unternehmen auf der Tagesordnung. Die Selbstorganisation von Teal hingegen, entfremdet sich von „dem richtigen Weg zum Ziel“, der durch Vorhaben wie Jobbeschreibungen, Zielsysteme und eine eindeutige Einordnung in ein hierarchisches System erreicht werden soll. Vielmehr erkennt der Aspekt der Selbstorganisation von Teal an, dass ein Ziel auf unterschiedliche Weisen erreicht werden kann.
Das bedeutet aber auch: Viele Koordinationspositionen werden überflüssig, da die Kommunikation und Vernetzung von den Mitarbeitern selbst vorangetrieben werden. Dabei werden sie geführt von und unterstützt durch Rollen, Entscheidungsprozesse und Regeln – und zwar die Gleichen für Alle. Auch bei uns gibt es also klare Regeln und Strukturen, um hier gleich einem Missverständnis vorzubeugen.
Dadurch wird es allen Mitarbeiter:innen, unabhängig von der Seniorität, ermöglicht, schnelle Entscheidungen im Einklang mit den Organisationszielen zu treffen. Verglichen mit einem Ameisenhaufen wird deutlich, welche Kriterien die Selbstorganisation verfolgt: Es gibt klare Regeln, denen gefolgt werden muss, damit es funktioniert. Diese Regeln sind nicht starr, sondern werden von, durch und mit jedem Einzelnen getragen. Und sie ermöglichen die notwendige Flexibilität, um Antifragilität* innerhalb der Organisation zu erzielen und entsprechend schnell auf Veränderungen der VUCA-Welt zu reagieren. Dies führt sowohl zu vielen Freiheiten jeder einzelnen Person als auch einer deutlichen höheren Verantwortung.
Evolutionäre Sinn
Der Evolutionäre Sinn beschreibt genau diese Weiterentwicklung und gibt gleichzeitig einen Kompass vor. Der sogenannte Evolutionäre Sinn beschreibt dabei den tieferen Grund der Existenz einer Firma. Nicht gleichzusetzen mit einer Vision des Unternehmens, welche sich auf die Positionierung im Markt bezieht und somit eine Ich-Perspektive einnimmt. Der Evolutionäre Sinn hingegen kommt ohne Branchenbeschreibungen, Zielgruppen oder Rankings aus. Und der Sinn eines Unternehmens ist ein lebendiges System und entwickelt sich über die Zeit weiter oder verändert sich. Ein Teil unseres Evolutionären Sinns ist es, anderen Organisationen dabei zu helfen, ihren Sinn zu erkennen und zu erfüllen. Dies hat uns u.a. dazu motiviert, diese Kolumne zu schreiben.
Für Mitarbeiter:innen bedeutet dies, dass sie ihre Expertise in ihren Bereichen bestmöglich einbringen können und gleichzeitig in der Verantwortung sind, dieses Wissen im Sinne aller und gemäß des Evolutionären Sinns einzubringen. Für den:die Unternehmer:innen übersetzt sich der Evolutionäre Sinn in einen niemals endender Pool von Ideen, Weiterentwicklungen und Anpassungen an eine sich kontinuierliche verändernde Welt und Kund:innenlandschaft. Wir nutzen unsere Vielfalt und die daraus resultierenden Synergien, um Probleme und Wachstumschancen frühzeitig zu entdecken und uns entsprechend zu positionieren.
Ganzheitlichkeit
Die dritte Säule der Teal Prinzipien stellt die Ganzheitlichkeit dar. In unserer patriarchal geprägten Gesellschaft haben viele von uns von klein auf ein eindeutiges Menschenbild erlernt: Managerinnen, Führungskräften, Arbeitnehmer:innen. Dazu gehört das Erlernen des Achtens vor Hierarchien, Autoritäten und Titeln. Je höher jemand die Karriereleiter erklommen hat, desto mehr Wert wird seinen Einschätzungen zugetragen, teilweise unabhängig von seiner Expertise.
Dabei hat es sich auch etabliert, keine Unsicherheiten, keine Schwächen zu zeigen. Wir übernehmen in unserem Leben unterschiedliche Rollen, je nach Freundesgruppe, Familienkonstellation oder Arbeitsplatz. Während wir überall authentisch sein können, scheint es auf der Arbeit nur eine Möglichkeit zu geben: Stets kompetent, souverän, ohne Zweifel und Unsicherheiten aufzutreten.
Die Kompetenz, die Richtung vorzugeben und Veränderung anzustoßen und zu entdecken wird manchen Individuen zugesprochen, anderen abgesprochen. Dabei vergessen wir: Niemand kann alles im Blick haben. Eine Firma entwickelt sich am besten mit den Kompetenzen der eigenen Mitarbeiter:innen weiter. Deshalb soll durch die Ganzheitlichkeit als Teal Prinzip der:die Einzelne ermutigt werden, ihr:sein ganzes Selbst in die Organisation einzubringen. Unsere Erfahrung zeigt: das authentische Selbst auf der Arbeit zeigen zu dürfen, führt zu mehr Gelassenheit, Menschlichkeit und weniger Energieverbrauch darin, sich verstellen zu müssen. Wir haben neue Stärken unserer Mitarbeiter:innen entdeckt, die wesentlich zu der Weiterentwicklung der Organisation beigetragen haben.
Selbstorganisation, Ganzheitlichkeit und der Evolutionäre Sinn als Pfeiler des Teal Konzeptes stellen einen Kompass für die Entwicklung und Weiterentwicklung von Unternehmen dar, die sich trauen, sich von alten Denkmustern zu verabschieden. Alle drei sind dabei unabdingbar und im Zusammenspiel zu betrachten, denn sie füttern sich gegenseitig mit Sinnhaftigkeit. In den kommenden Artikeln werden wir die einzelnen Aspekte weiter beleuchten und auf einige Details, wie unseren Entscheidungsprozess (es braucht klare Regeln!), eingehen. Für einen Deep-Dive in Teal haben wir heute gemeinsam unsere Grundsteine gelegt: Selbstorganisation, der Evolutionäre Sinn und Ganzheitlichkeit.
*Antifragilität beschreibt einen Zustand von zukunftsfähigen Systemen, also auch Organisationen, die Stress standhalten und sogar „mögen“. Herausforderungen werden als Chance zur evolutionären Weiterentwicklung genutzt. Dieses Paradigma beschreibt den Gegensatz zu robusten, stabilen und widerstandsfähigen Systemen, die Störeinwirkungen von außen entgegenwirken.
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In dieser Kolumne, die gemeinsam mit enableYou entstanden ist, schreiben wir über die zahlreichen Facetten des TEAL-Konzepts, welches von Frederic Laloux geprägt und in seinem Buch „Reinventing Organisations“ ausführlich vorgestellt wird. Dabei erzählen wir in unserer Kolumne von unseren Erfahrungen und best-practices, zeigen auf, warum es neue Paradigmen im Management braucht und erörtern, wieso TEAL unserer Meinung nach eine Lösung für momentane Herausforderungen sein kann. In den kommenden sechs Beiträgen teilen wir unsere praktischen Erfahrungen über das selbstorganisierte Arbeiten und geben einen tieferen Einblick in den evolutionären Sinn von TEAL-Organisationen und die Verbindung zum Feminismus. Durch die neuen Perspektiven wollen wir dazu einladen und inspirieren, traditionelle Organisationsstrukturen zu überdenken und Mut geben, neue Konzepte, wie TEAL, auszuprobieren.
Unsere Kolumnisten sind Andreas Kraus, Kathrin Kastel und Alexandra Wudel. Andreas hat enableYou 2020 gegründet und hat es sich zur Aufgabe gemacht, menschenzentrierte Management-Paradigmen, wie Teal, in die (Arbeits)Welt zu tragen. Alexandra arbeitet als Agile Coach in der Politik. Außerdem arbeitet sie seit vielen Jahren als kritische Stimme im Bereich Wirtschaft und Technologie. Kathrin arbeitet als IT-Business Analyst mit einer Leidenschaft für Menschen und New Work in KMUs.