In diesem Artikel evaluieren wir inwieweit die Arbeit nach dem Teal Konzept von Frédéric Laloux feministische Denk- und Handlungsweisen in der Arbeitswelt empowern kann. Bevor wir in die Darstellung der einzelnen Aspekte einsteigen, wollen wir zunächst den Begriff „Feminismus“ näher betrachten. Deshalb definieren wir unser Verständnis des Feminismus, da sich dieser Begriff stetig im Wandel befindet und ein gemeinsames Verständnis für uns essenziell ist.
Die Feminismus-Theorie hat sich über die Jahre hinweg in verschiedenen Wellen weiterentwickelt. Wenn wir über Feminismus sprechen, dann meinen wir den intersektionellen Feminismus, der die dritte Welle der Feminismus-Bewegung darstellt. Wir schließen uns der Definition der UN an, die sich auf die Stimmen derjenige konzentriert, die überlappende, gleichzeitige Formen der Unterdrückung erleben. Dabei muss der Kontext stets mit in Betracht gezogen werden, um die Tiefen der Ungleichheiten und die wechselseitige Beziehung begreifen zu können. Perspektive dient dazu, die Tiefen der Ungleichheiten und die Beziehungen zwischen ihnen in jedem Kontext zu begreifen. Diese Herangehensweise erlaubt uns auch die historischen Kontexte zu erkennen, in die unsere Arbeitswelt, besonders durch historische gewachsene Strukturen, eingebunden ist.
Wie genau kann nun ein neues Organisationsparadigma wie TEAL zur Feminismusbewegung beitragen? An welchen Stellen findet ein Empowerment von marginalisierten und unterrepräsentierten Gruppen anhand von Selbstorganisation, Evolutionärem Sinn und Ganzheitlichkeit statt? Wir von enableYou haben in einem Workshopformat erarbeitet, wieso Teal ein Werkzeug für Feminist:innen, und jene, die es noch werden wollen, sein kann.
Selbstorganisation und Feminismus: Verbesserte Karrierechancen für alle
Durch Selbstorganisation werden vorherrschende und zum Teil patriarchale Hierarchien abgeschafft. Durch diese Abschaffung von Hierarchien entfällt der klassische Karrieredruck, der meist nur eine einzige Richtung vorgibt. Per se entspricht die klassische Karriereleiter nicht den Vielfaltskriterien in unserer Gesellschaft. Wieso soll es nur einen Weg, und zwar immer nach oben geben?
Da auf dem Erklimmen der Karriereschritte häufig Leistung, Arbeitsmoral und Ellbogen-Mentalität zählen, wird ein bestimmter Stereotyp gefördert. Wer macht am meisten Überstunden? Wer arbeitet auch am Wochenende? Wer verzichtet zu Gunsten des Unternehmens auf Urlaubstage? Stärken außerhalb des hetero-normativen Ideals werden in vielen klassisch hierarchischen Unternehmensformen möglicherweise übersehen oder auch weniger geschätzt.
Bei Teal gibt es keine Hierarchien, sondern klare Rollen, die sich im Laufe der Zeit verändern dürfen. Dadurch ist auch eine Abwesenheit aufgrund von Elternzeit keine einmalige Herausforderung, sondern gehört, wie jede andere Rollenanpassung, zum Standardmodell. Elternzeit und Mutterschutz hält uns nicht auf. So können Rollen auch nach einer Rückkehr aus Care-Verpflichtungen wieder umverteilt und an den persönlichen, individuellen Bedürfnissen angepasst werden. Sie müssen sich aber nicht verändern. Auch das "Job-Sharing", also das Arbeiten in Teilzeit im Team, wird durch das Auflösen klassischer Position deutlich erleichtert. Teal schafft verbesserte Karrierechancen für alle.
Transparenz und Feminismus: Gender Pay Gap adressieren
Ein wesentlicher Aspekt von Teal Organisationen ist die komplette Transparenz von Rollen, Regeln, Entscheidungssystemen und natürlich auch dem Gehalt. Monatlich schauen wir bei enableYou auf die Gehälter aller Mitarbeiter:innen und verschaffen uns im „Monthly CEO“ Meeting einen Überblick über die aktuelle Kosten- und Erlössituation. Zu jeder Zeit können die Gehälter eingesehen werden. Dass Menschen aufgrund ihres zugeschriebenen Geschlechts, ihrer Herkunft, Hautfarbe, Postleitzahl oder jeglicher anderer Faktoren weniger Gehalt bekommen, ist für unsnicht tragbar. Diskriminierung bei der Bezahlung und somit auch der Gender Pay Gap muss endlich von Unternehmen aktiv angegangen und verbessert werden. EnableYou hat sich dazu entschieden, kein Teil der Unternehmen zu sein, die den unbereinigten Gender Pay Gap von ca. 20 % mitgestalten und nutzen die Transparenzkriterien von Teal-Organisationen um gleichberechtigt zu entlohnen.
Im halbjährlichen Gehaltsanpassungsprozess erklärt jede Person allen im Team, warum sie welches Gehalt für das nächste halbe Jahr haben möchte. Daraufhin erfolgen gemäß unserem Beratungsprozess Fragen und Ratschläge zu diesem Vorschlag. Abschließend entscheidet die vorschlagende Person selbst unter Berücksichtigung der Ratschläge über ihr Gehalt. Transparenz über Gehalt empowert: Gehaltstransparenz ist feministisch.
Ganzheitlichkeit und Feminismus: Feminine Eigenschaften
Kennt ihr die Grundannahmen von Teal?
- jeder Mensch ist im Grunde gut
- alle Menschen sind gleichwertig
- wir betrachten alles aus einer Haltung der Liebe und Wertschätzung
Diese wesentlichen Grundannahmen von Teal zeigen auf, wie stark die Gemeinsamkeiten von Teal und Feminismus sind. Sie bilden die Basis für ein intersektionales Umfeld.
Im Rahmen der Ganzheitlichkeit soll gefördert werden, dass jede:r Mitarbeiter:in ihr:sein ganzes Selbst in das Unternehmen einbringen kann.
Wenn menschliche persönliche Eigenschaften nicht als „Gut“ oder „Schlecht“ bewertet werden, wird ein Umfeld von Vertrauen geschaffen, auf dem die Samen des persönlichen Wachstums am besten gedeihen. Diese liebevolle Grundhaltung erlaubt es „männlich-“ ebenso wie „weiblich“-konnotierte Eigenschaften in den Beruf einzubringen und zu fördern.
Obwohl uns die Einordnung von Merkmalen in das heteronormative Konstrukt widerstrebt, beobachten wir, dass in unserer Arbeitswelt derzeit männlich-gelesene Eigenschaften gefördert und belohnt werden. Um dieses System abzuschaffen, weisen wir darauf hin, dass alle Eigenschaften einen wertvollen Beitrag zum Unternehmen leisten. Der Anspruch der Ganzheitlichkeit von Teal unterstreicht diese Argumentation.
#smashthepatriarchy? Grenzen von Teal und Feminismus
In unserem Workshop haben wir nicht nur die Vorteile des Teal Konzeptes für die Feminismusbewegung, sondern auch ihre Grenzen diskutiert. Die Umsetzung flexibler Arbeitszeiten und Gehaltsstrukturen in allen Berufsfeldern stellt eine Herausforderung dar. Außerdem muss die Integration von Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen in gleichberechtigte Entscheidungsprozesse, die im Teal Konzept verankert sind, sensibel begutachtet werden. Nichtsdestotrotz wollen wir Arbeitnehmer:innen, Unternehmer:innen und Selbstständige dazu befähigen, mit uns auf diese Reise zu gehen und sich zu trauen, kreative Lösungen zu entwickeln und diese vermeintlichen Grenzen aufzulösen.
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In dieser Kolumne, die gemeinsam mit enableYou entstanden ist, schreiben wir über die zahlreichen Facetten des TEAL-Konzepts, welches von Frederic Laloux geprägt und in seinem Buch „Reinventing Organisations“ ausführlich vorgestellt wird. Dabei erzählen wir in unserer Kolumne von unseren Erfahrungen und best-practices, zeigen auf, warum es neue Paradigmen im Management braucht und erörtern, wieso TEAL unserer Meinung nach eine Lösung für momentane Herausforderungen sein kann. In den kommenden sechs Beiträgen teilen wir unsere praktischen Erfahrungen über das selbstorganisierte Arbeiten und geben einen tieferen Einblick in den evolutionären Sinn von TEAL-Organisationen und die Verbindung zum Feminismus. Durch die neuen Perspektiven wollen wir dazu einladen und inspirieren, traditionelle Organisationsstrukturen zu überdenken und Mut geben, neue Konzepte, wie TEAL, auszuprobieren.
Unsere Kolumnisten sind Andreas Kraus, Kathrin Kastel und Alexandra Wudel. Andreas hat enableYou 2020 gegründet und hat es sich zur Aufgabe gemacht, menschenzentrierte Management-Paradigmen, wie Teal, in die (Arbeits)Welt zu tragen. Alexandra arbeitet als Agile Coach in der Politik. Außerdem arbeitet sie seit vielen Jahren als kritische Stimme im Bereich Wirtschaft und Technologie. Kathrin arbeitet als IT-Business Analyst mit einer Leidenschaft für Menschen und New Work in KMUs.