Vor ein paar Monaten saß ich mit meiner Freundin Anna Schunck im Kaffee 9 in Kreuzberg. Wir hatten uns mal wieder viel zu lange nicht gesehen. Ich erzählte ihr, wie schwierig die Lage bei FOLKDAYS, meinem Fair-Trade-Label, ist. Anna ist Journalistin und Moderatorin, sie arbeitet zu Themen rund um soziale und ökologische Nachhaltigkeit. Zum ersten Mal in ihrer freiberuflichen Karriere bekommt sie sehr wenig Anfragen. Auch das Nachhaltigkeitsmagazin "2050" von Burda, wo sie Teil der Redaktionsleitung war, wurde nach nur vier Ausgaben eingestellt. Und dann fiel der Satz, der mich nicht mehr loslässt: Lisa, Nachhaltigkeit ist einfach nicht mehr im Trend.
Jene Nachhaltigkeit also, der ich mein Leben widme. Die mich schlaflos und ratlos macht, aber mir auch oft Hoffnung gibt. Denn schon lange beschäftigt mich, wie wirtschaftliche Beziehungen aussehen könnten, die nicht auf der Ausbeutung von Mensch und Natur basieren. Deshalb habe ich vor 11 Jahren FOLKDAYS gegründet. Wir wollten herausfinden, wie Lieferketten aussehen müssen, durch die ein möglichst großer finanzieller Wert für die Menschen vor Ort entsteht. Denn die meisten Lieferketten mit Ländern des globalen Südens sehen leider immer noch so aus, dass zwar die meisten Arbeit vor Ort verrichtet wird, der Großteil des Profits aber natürlich im globalen Norden hängen bleibt. In der Zusammenarbeit mit Kunsthandwerker*innen war uns außerdem immer wichtig, dass wir mit lokalen und vor allem natürlichen Materialien arbeiten, um den negativen Einfluss auf die Natur so klein wie möglich zu halten.
Als wir vor 11 Jahren FOLKDAYS gründeten, kurz nach dem Unglück in Bangladesch, was sich als “Rana Plaza” in unsere Köpfe eingebrannt hat, waren nachhaltige Textillieferketten die absolute Ausnahme. Viele der bestehenden Angebote richteten sich an eine eher ältere “Eine-Weltladen-Szene”, heißt: gefielen den Menschen meiner Generation eher nicht. Mit FOLKDAYS wollten wir das eher angestaubte deutsche Fairtrade-Image aufpolieren.
Und das haben wir auch geschafft: FOLKDAYS wurde eine Referenz für viele Menschen, um aufzuzeigen, dass “Nachhaltig” und “Style” zusammengehen kann. Und so langsam poppte ein nachhaltiges Unternehmen nach dem nächsten aus dem Boden. Und wir staunten und freuten uns. Nachhaltigkeit wurde wirklich zu einem belastbaren Trend: vielleicht nicht für den Mainstream, aber immer mehr Menschen interessierten sich dafür, wie und wo ihre Kleidung produziert wurde. Die großen Textilketten launchten eigene “conscious collections”, um das Momentum mitzunehmen (ohne natürlich irgendetwas Substantielles an den eigenen Lieferketten zu verändern…). Und Menschen wie Anna und ich hatten viel zu tun.
Jetzt also ist laut Anna Nachhaltigkeit kein Trend mehr: Wir hatten also mit FOLKDAYS ein kurzes Momentum und jetzt sollte das Ganze schon wieder vorbei sein? Das saß. Erst wollte ich dagegen halten, aber ich wusste, dass sie recht hatte. Und es war wichtig und richtig für mich, genau das zu hören. Denn ich hatte mir schlicht etwas vorgemacht: Die Jahre zuvor, in denen es auch nie einfach gewesen war, hatten wir uns von Monat zu Monat gehangelt in der Hoffnung, es würde wieder besser werden: Erst Corona und die Schließung unseres Ladens. Dann der Ukraine-Krieg und die damit einhergehende gesellschaftliche Verunsicherung, dann die Inflation… Es gab immer Gründe, die uns geholfen hatten, die harten Zeiten zu erklären und so irgendwie zu überstehen. Derzeit, anders als in der Vergangenheit, wird es mit unserem Umsatz einfach nicht wieder besser, sondern es geht immer weiter bergab. Das führt bei mir und meinen Mitarbeiterinnen zu Frustration und Selbstzweifel. Das einzige, was uns hilft, so traurig es klingt, ist, immer wieder mitzubekommen, dass es anderen nachhaltigen Firmen ähnlich geht. Es scheint also nicht allein an uns zu liegen. Der eigentlichen Wahrheit, dass auf dem Papier alle toll finden, was wir und Unternehmen wie wir machen, aber längst wieder in alte Konsummuster zurückgefallen sind, wollten wir uns jedoch nicht stellen.
Deshalb saß der Satz perfekt: Das Pflaster war abgerissen und ich durfte endlich den individuellen Kampfmodus verlassen. Natürlich gingen Anna und ich gleich gemeinsam auf Ursachenanalyse. Warum kaufen Menschen weniger nachhaltige Produkte? Warum interessieren sich deutsche Medien nicht mehr für dieses Thema? Warum gehen die Umsätze von uns nachhaltigen Unternehmen so stark runter? Unzählige kleine, nachhaltige Unternehmen in unserem Umfeld haben in den letzten zwei Jahren dicht machen müssen. Da es keine offiziellen Zahlen spezifisch zu Umsätzen von nachhaltigen Unternehmen gibt, ist diese Entwicklung schwer zu belegen. Welche Zahlen aber ganz offiziell zu finden sind: In 2022 fanden die meisten Deutschen noch, dass die deutsche Regierung die Bekämpfung von Armut und der Klimakrise priorisieren sollte. In 2024 hat sich der Trend komplett gedreht: jetzt geht es vor allem um die Begrenzung von Migration.
Unser Erklärungsversuch: Der erste Faktor, warum Menschen nicht mehr (so viel) nachhaltige Produkte kaufen, ist natürlich der starke Anstieg von Lebenshaltungskosten, besonders bei Lebensmitteln. Wenn wir beispielsweise die Preise im Juli 2024 mit denen aus dem Juni 2021 vergleichen, ergibt sich eine Steigerung um fast 30 Prozent. Das haut natürlich rein.
Studien belegen allerdings, dass es für die meisten Preissteigerungen keine nachvollziehbare Grundlage gibt, sondern das Profitstreben der Konzerne die Teuerung hierzulande, aber auch global befeuert hat. Geld, das Menschen in der Vergangenheit zum Beispiel für nachhaltige Produkte ausgeben konnten, landet zu einem großen Teil in Form von Profiten in den Taschen großer Konzerne. So erzielte bspw. Beiersdorf 2023 ein Gewinnplus von 42,7 Prozent, Cola-Cola 39,9 Prozent und Nestlé immerhin noch stolze 11,4 Prozent.
Mangelnde finanzielle Spielräume sind das eine. Das sinkende Interesse an bewusst nachhaltigen Konsumentscheidungen - bis weit in das als linksgrüne Milieu hinein - liegt meines Erachtens aber auch noch woanders: Wie wir aus der Neurowissenschaft wissen, reagieren Menschen auf hohe Unsicherheit und Überforderung indem sie in alte, ihnen bekannte Muster verfallen. Wir suchen nach einfachen Antworten, nach “Abgeschlossenheit”, nicht nach Fortschritt, Offenheit und Veränderungsbereitschaft. Es soll wieder so werden, wie es war als alles gut war - oder so schien. Das ist unser kindlicher Wunsch nach Sicherheit. Der schlägt sich auch im Shoppingverhalten nieder. Wo in der Vergangenheit das Ausprobieren von neuen, möglichst nachhaltigen Alternativen wichtig war, gehen viele Menschen zurück zu einfachen und oft bequemen Lösungen. In ihrem neuronalen “Energiesparmodus” sparen sie es sich, die übertrieben verrückten Umsatzsteigerungen von Firmen wie Amazon und Zalando kritisch zu betrachten - und klicken einfach auf “Jetzt kaufen”.
So deprimierend unser Gespräch verlief, so hilfreich war es für mich, denn wir blieben nicht im Lamento stecken: Die Akzeptanz, dass sich die Situation wahrscheinlich nicht verbessern, sondern eher verschlimmern wird, machte es mir möglich, aus der Schockstarre herauszukommen und radikalere Antworten auf diese Herausforderung unserer Zeit zu finden. Wie wäre es etwa, wenn wir die veraltete und starre Vorstellung von Unternehmen als abgeschlossenen Einheiten überwinden? Wenn wir es als nachhaltige Unternehmen nicht alleine schaffen, sollten wir uns doch vielleicht in einer Art Netzwerk zusammenschließen, um so gemeinsame Ressourcen und Synergien schaffen und nutzen können. Wir könnten Wissen, Kontakte, Räume und Fähigkeiten teilen und so unsere Energie effizienter einsetzen. Wir könnten aber auch vor allem Räume bauen, in denen wir uns nicht mehr so einsam fühlen in dem Kampf um nachhaltigeren Konsum, den wir anscheinend gerade verlieren. Räume, in denen Gemeinschaft, Verbundenheit und Solidarität gelebt wird.
Als wir uns zum Abschied umarmten, stand eines fest: Aufgeben kann weder für uns noch für die Gesellschaft eine Option sein, da sind Anna und ich uns einig: Zu viel steht auf dem Spiel.
Mein Gespräch mit Anna hat für mich eines noch deutlicher gemacht: Wenn wir als nachhaltige Unternehmen die aktuellen Krisen überstehen wollen, müssen wir andere Wege finden, als einfach nur zu hoffen, dass sich die Welt irgendwann beruhigt und Menschen wieder nachhaltiger konsumieren. Aus meiner Sicht braucht es radikalere Formen der Zusammenarbeit und Synergien. Wir haben immer schon punktuell mit anderen nachhaltigen Unternehmen zusammengearbeitet, aber haben uns trotzdem immer als abgeschlossene Einheit gesehen: das Unternehmen als Silo halt. Aber wir müssen neue Wege ausprobieren. Zum Beispiel uns mit einem Unternehmen zusammenzuschließen, das wir eigentlich vor allem als Konkurrenz betrachten: dem White Label Project. Auch sie arbeiten mit Kunsthandwerker*innen aus dem globalen Süden zusammen und verkaufen schöne, hochwertige und nachhaltig produzierte Produkte. Wir sind also dabei, mit der Marktlogik von der Konkurrenz als Gegner zu brechen, auch wenn es vielleicht kurzfristig einen negativen Effekt auf unseren Umsatz haben könnte. Wir sind überzeugt, dass es trotzdem mittel- und langfristig Sinn macht, unsere Ressourcen zu bündeln, um so Wissen, Fähigkeiten und Kontakte zu teilen und natürlich um Kosten zu sparen und flexibler zu werden. Wir werden die Logistik zusammenlegen, den Customer Support, unsere Online Shops. Vielleicht sogar mittelfristig einfach unsere kompletten Unternehmen? Und vielleicht gibt es weitere nachhaltige Unternehmen, mit denen wir uns zusammenschließen können? Quasi ein Netzwerk von nachhaltigen Marken aufbauen, in dem wir uns gegenseitig stabilisieren und bereichern können. Und wenn wir unsere Reichweite auch für andere Unternehmen mit gleicher Haltung nutzen würden, dann würden unsere “Stimmen für nachhaltigen Konsum” wieder lauter werden können. Und wir würden uns in den aktuellen Zeiten auch nicht mehr so alleine fühlen.
Es gibt Hoffnung, nur an einem anderen Ort. Nachhaltigkeit ist vielleicht kein Trend mehr, aber wenn wir alle ein bisschen mehr Raum in uns schaffen, in denen die Unsicherheit uns nicht in den Rückzug, in die einfachen Antworten auf komplexe Fragen, in die Abgeschlossenheit drängt, dann kann etwas radikal anderes, etwas besseres entstehen.
Quellen:
https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/lebensmittelprod….
https://www.agrarheute.com/management/agribusiness/teure-lebensmittel-d…
https://www.theguardian.com/environment/article/2024/jul/26/food-price-…
https://perspektive-online.net/2024/03/preissteigerungen-lebensmittelko…
https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/lebensmittel-preise-prof…
https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-05/inflation-profit-lebensmittel-ge…
https://www.psychologie-heute.de/leben/artikel-detailansicht/39121-mut-…
https://www.allianceofdemocracies.org/wp-content/uploads/2024/05/DPI-20…