Freiberuflichkeit im sozialen Sektor
Eine weitere Möglichkeit und ein Sprungbrett in den sozialen Sektor ist die freiberufliche Selbstständigkeit. Hierfür gibt es auch im gemeinwohlorientierten Bereich einen Markt, da es sich viele Organisationen nicht leisten können, feste Mitarbeiter einzustellen und daher Aufträge auf Projektbasis nach Außen geben. Dies resultiert auch aus der fehlenden konstanten Finanzierung sozialer Organisationen. Viele der Projekte sind von Spendengeldern abhängig und können daher nur punktuell neue Mitarbeiter rekrutieren und fest einstellen. Deshalb werden oftmals freiberufliche Mitarbeiter in diesem Bereich angeheuert.
Wir haben mit Christina Breitenbücher gesprochen, die sich selbst nach einem Job in der Wirtschaft im sozialen Sektor als Dozentin für Berufsorientierung selbstständig gemacht und viele Learnings daraus gezogen hat:
Einfach mal ins kalte Wasser springen – von der Festanstellung in der Wirtschaft zur freiberuflichen Tätigkeit im sozialen Sektor
So war es auch bei Christina Breitenbücher. 2013 schmiss sie nach vier Jahren Tätigkeit in einem klassischen Wirtschaftsunternehmen ihren Job. Nachdem sie sich in ihrem alten Beruf immer öfter die Frage gestellt hat: „Was mach ich hier eigentlich?“ suchte sie nach einer Alternative. Nach ihrem Studium arbeitete sie zunächst im Marketing. Als ihr Vertrag auslief, setzte sie sich selbst zum ersten Mal mit dem Thema Arbeitslosigkeit auseinander. Diese wirkte für Christina wie eine riesige Bedrohung. Aus ihrer Not entstand die Idee, sich selbstständig zu machen und im Bereich der Berufsorientierung mit Jugendlichen zusammen zu arbeiten.
Sich mit dem eigenen Lebensweg auseinanderzusetzen, über eigene Potenziale und Chancen nachzudenken geschieht bei vielen Menschen häufig durch einen Jobwechsel. „Die Begeisterung für den eigenen Lebensweg und meine persönliche Entwicklungsfähigkeit haben mich immer vorangetrieben“, erzählt Christina. Der Bereich Berufsorientierung schien naheliegend, weshalb sie kurzer Hand Anlauf nahm und ins kalte Wasser sprang. Nach zwei Monaten Recherche rief sie kurzer Hand in einem Bildungszentrum an und fragte, ob sie den DozentInnen mal über die Schulter schauen könne. Aus diesen Schnuppertagen wurde eine Urlaubsvertretung und daraus eine Beschäftigung als freiberufliche Dozentin für berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen (BVB).
Learnings, die du gezogen hast, als du dich freiberuflich selbstständig gemacht hast:
- Eine typische Gründerpersönlichkeit gibt es nicht: Auf Existenzgründer-Veranstaltungen wird immer über die „Gründerpersönlichkeit“ gesprochen und dass viele Menschen sie nicht mitbringen würden und daher scheitern. Komisch eigentlich, dass es keine Tests dafür gibt, ob man eine „Angestellten-Persönlichkeit“ besitzt. Ich persönlich habe gelernt, dass man auf solche Tests nicht hören sollte, denn sie spiegeln lediglich das Selbstbild wider, was geprägt ist durch Konditionierung aus Schule, Elternhaus und Erfahrungen. Sie sagen jedoch rein gar nichts über deine Potenziale aus, die in dir schlummern und mit der Leidenschaft für eine Idee zum Leben erweckt werden können.
- Wenn man an sich glaubt, kann man auch als Quereinsteiger erfolgreich sein: Viele Menschen haben mir gesagt ohne ein Pädagogik-Studium hätte ich keine Chance! Auch meine Arbeitsvermittlern in der Arbeitsagentur sagte zu mir: „Das Thema Selbstständigkeit sehe ich bei Ihnen und Ihrem Lebenslauf überhaupt nicht! Ich werde Sie mit Sicherheit in einen Job vermitteln können.“ Ich habe an mich und meine Ideen immer geglaubt, nur so konnte ich Menschen auch davon überzeugen, mir eine Chance zu geben. Und am Ende habe ich auch den Gründungszuschuss bekommen.
- Man braucht keinen Businessplan: Ich bin nicht den Milestones in meinem Businessplan gefolgt, sondern meinem Gefühl. Den nächsten Schritt bin ich immer dann gegangen, wenn ich mich dafür bereit gefühlt habe. Dadurch war ich offen und flexibel für die Möglichkeiten, die mir auf meinem Weg begegnet sind. Wäre ich stur einem Plan gefolgt, hätte ich wahrscheinlich viele Chancen nicht wahrgenommen.
- Durch Ängste hindurchgehen macht stark: Ich habe das getan, wovor ich am meisten Angst in meinem Leben hatte: Ich habe gekündigt und war dann arbeitslos. Jetzt habe ich davor keine Angst mehr. Ich weis, es gibt immer einen Weg für mich. Dieses neu gewonnene Vertrauen hat mich zu einem glücklicheren, befreiten Menschen gemacht.
- Arbeiten im Einklang mit der eigenen Persönlichkeit, macht viel Freude: Es war ein völlig neues Gefühl für mich, mit wie viel Energie ich nach einem Seminar nach Hause komme. Statt wie früher erschöpft und genervt zu sein, bin ich begeistert und euphorisch. Sonntag Abends denke ich nicht mehr „oh nein, morgen muss ich wieder arbeiten“, stattdessen freue ich mich auf meine Seminare, in denen ich meine Ideen ausprobiere und bin gespannt darauf, wie es funktioniert. Das liegt daran, dass ich mich nicht nur mit einem Thema beschäftige, was mich begeistert, sondern dass auch die Art und Weise, wie ich arbeite und lerne perfekt zu mir passt. Ich habe das Gefühl, dass ich endlich meine Stärken leben kann.
Tipps für die Freiberuflichkeit im sozialen Sektor:
- Es gibt keine riesigen Budgets aber sehr viel Raum und Freiheit für Kreativität und die Umsetzung eigener Ideen!
- Pragmatismus ist wichtig! Es lässt sich auch mit wenig Geld sehr viel bewegen und umsetzen!
- Flexibilität: Projekte haben zum Teil kurze Laufzeiten und wechseln häufiger. Daher ist es wichtig zu wissen, wofür stehe ich als Person, was möchte ich den Jugendlichen mit auf den Weg geben, welches Wissen möchte ich vermitteln. Wenn man sein Thema gefunden hat, kann man die Inhalte in verschiedenen Projekten einbringen. Versucht euch mehrere Standbeine aufzubauen.
- Gerade in der Arbeit mit „schwierigen“ Jugendlichen ist es wichtig, zu lernen mit Widerständen umzugehen. Eine Beziehung zu den Menschen aufzubauen ist das Wichtigste!
- Lernen sich an kleinen Erfolgen zu erfreuen.
Tipps und Tricks für die Freiberuflichkeit:
- Ich habe gelernt, dass man den Weg vorher nicht sieht. Man muss ihn gehen und dann ergibt und erschließt er sich, Schritt für Schritt. Es ist daher wichtig zu vertrauen und einfach irgendwann anzufangen – auch wenn man noch nicht den 100%igen Plan hat.
- Sprich mit Menschen über deine Ideen. Du wirst immer Menschen finden, die dir Mut machen, Feedback geben oder dir vielleicht einen Kontakt vermitteln können.
- Es gibt regelmäßig Veranstaltungen der IHK und Wirtschaftsförderung zu Themen wie Existenzgründung, Buchhaltung und Gründungszuschuss. Die meisten Seminare sind kostenfrei oder kosten nur sehr wenig.
- Wenn möglich bewirb dich auf jeden Fall auf den Gründungszuschuss. Erfüllst du die Kriterien und schreibst einen Businessplan, in dem du zeigst, dass du dich kritisch mit deiner Geschäftsidee auseinandergesetzt hast, hast du sehr guteChancen ihn auch zu bekommen. Beginne zudem deine Selbstständigkeit nach Möglichkeit nebenberuflich – so kannst du deinen Arbeitsvermittler davon überzeugen, dass sich damit Geld verdienen lässt!
- Einen Steuerberater zu Rate ziehen, der sich in deinem Business auch wirklich auskennt. Frage also vorher nach, ob er in deinem Bereich Erfahrung hat.
Ein paar ermunternde Worte für Leute, die sich überlegen einen Schritt Richtung Freiberuflichkeit zu machen:
Du hast deine Idee nicht umsonst bekommen, sondern weil du das Potenzial dafür hast sie auch zu leben und umzusetzen! Das, was du tun musst, ist daran zu glauben und zu vertrauen deinen Weg zu finden und in diesem Vertrauen irgendwann einfach anzufangen. Lass dich von Rückschlägen nicht aufhalten, du wirst dich am Anfang gefühlt häufiger im Kreis drehen, aber irgendwann findest du deine Richtung. Habe keine Angst zu scheitern, denn egal was passiert, deine Lernkurve wird in dieser Zeit so steil wie noch nie sein. Diese Erfahrung wird dir zeigen, was alles in dir steckt und das ist vermutlich sehr viel mehr als du glaubst! Du wirst Momente des unendlichen Glücks erleben, du wirst vielleicht auch manchmal weinen, weil du zwischenzeitlich denkst, mein Gott, ich muss verrückt sein. Aber in jedem Fall wirst du eine sehr lebendige Zeit erleben und darum geht es doch eigentlich: Zu leben!