Intrapreneurship leben

Menschlich und ökonomisch erfolgreich? Kann das funktionieren? Und wenn ja, wie?

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by Hendrik Epe, May 4, 2017
intrapreneurship

Dieser Artikel erschien ursprünglich hier.

Ich habe gerade den Film AugenhöheWEGE gesehen. Zum zweiten mal, in der weißen Version. (Nur zur Info, es gibt zwei Versionen, die Ihr beide hier finden könnt).

Die Filme verfolgen das Ziel, eine neue Kultur der Zusammenarbeit, die menschlich und ökonomisch erfolgreich ist, zu zeigen und dadurch zur Diskussion und zum Nachdenken anzuregen.

Menschlich und ökonomisch erfolgreich? Kann das funktionieren? Und wenn ja, wie? Und was hat das mit dem eigentlichen Thema, der Förderung von unternehmerischem Denken in Sozialen Organisationen, zu tun?

Zunächst einmal hier der Hinweis auf meinen vorherigen Artikel, der das „Warum“ unternehmerischen Handelns in Organisationen der Sozialwirtschaft darlegt. Die Reaktionen darauf waren – erwartbar – gespannt auf die Umsetzung von Intrapreneurship in Sozialen Organisationen.

Was ist ein Unternehmer?

Dazu noch einmal kurz zur Wiederholung: Ein Unternehmer ist jemand, der innovativ und konsequent handelt, notwendige Ressourcen akquiriert, Risiken eingeht und mit den auftretenden Widerständen konstruktiv umgeht. Ein Unternehmer – ob in einem Unternehmern als Intrapreneur oder tatsächlich als Inhaber – ist jemand, der Verantwortung für sein Handeln übernimmt.

Eine Voraussetzung, um Intrapreneurship in Organisationen der Sozialwirtschaft zu verankern!

Voraussetzend ist die wirkliche, echte Möglichkeit, auf Ebene der Mitarbeiter Verantwortung überhaupt übernehmen zu können. Mit anderen Worten: Die Mitarbeitenden müssen ermächtigt sein, Verantwortung zu übernehmen.

Klingt einfach, ist es aber nicht.

So müssen mindestens zwei Faktoren bedacht werden:

  1. Zum einen muss nicht nur der Chef, der Vorgesetzte, der Geschäftsführer von der Idee unternehmerischen Handelns in der eigenen Organisation überzeugt sein. Zusätzlich dazu muss auch der Vorstand oder die Gesellschafter, jedenfalls die höchste Entscheidungsebene der Organisation, von der Idee überzeugt werden. Ansonsten hintergeht der Geschäftsführer ggf. entscheidende Strukturen, was ihm „den Kopf kosten kann“ (auch hier sollte man einmal über die verwendeten Wörter nachdenken…).
  2. Zum anderen agieren Organisationen der Sozialwirtschaft nicht in freien Märkten. Das Leistungsdreieck der Sozialwirtschaft dürfte den Lesern hier bekannt sein? Deswegen nur kurz dazu: Die Organisation als „Leistungserbringer“ steht einerseits in einer Ko-Produktionsbeziehung zum Klienten und andererseits in einer Kundenbeziehung zum Kostenträger, dem (wesentlichen) Finanzier der sozialen Dienstleistung. Kostenträger und Klient stehen wiederum in einer Anspruchsbeziehung zueinander. Damit sind in vielen Bereichen gesetzliche Vorgaben verbunden, die der Kostenträger an die Organisation richtet, er zahlt ja auch dafür und hat entsprechende Erwartungen. Diese Vorgaben sind einzuhalten, wodurch es dazu kommt, dass neue Wege, Innovationen in allen, also auch organisationsinternen Bereichen wie der Organisationsstruktur oder der Prozessgestaltung, eher verhindert werden. Ein Geschäftsführer wird sich eher schwer damit tun, den Mitarbeitenden die oben beschriebene Freiheit zu geben und sie zu ermächtigen, als Intrapreneur tätig zu werden, ohne sichergehen zu können, dass die Freiheit nicht ausgenutzt wird.

Der letzte Punkt, die (angebliche) Ausnutzung der (neuen) Freiheit durch den Mitarbeiter, führt zur Frage des Menschenbildes, das in den Organisationen gelebt wird. Dazu aber später mehr.

Drei Schritte, Intrapreneurship lebendig zu gestalten!

Zunächst bleibt die Frage, was man denn jetzt konkret tun kann, um die Mitarbeiter zu ermächtigen, unternehmerisch zu denken und zu handeln?

Dazu bedarf es drei Dinge (wobei ich immer skeptisch bin, ob es so etwas wie “Die XY Dinge für nachhaltigen Unternehmenserfolg” oder sowas überhaupt geben kann, aber es reduziert die Komplexität ein wenig):

  1. sich selbst steuernde Teams,
  2. die Delegation von Verantwortung an diese („Empowerment“) sowie die
  3. Koordination über Unternehmenskultur und interne Märkte.

OK, verstanden, klingt wieder einfach, machen wir mal!

Naja, auch hier ist wieder einschränkend anzuführen, dass es zwar einfach klingt, in der Realität jedoch enorm schwer umzusetzen ist. Also noch etwas konkreter:

Zu 1.: Sich selbst steuernde Teams

Aus einer systemtheoretischen Perspektive kommt man recht schnell zu der Feststellung, dass soziale Systeme und damit auch Organisationen (wenn man diese als soziale Systeme definiert) eigentlich nicht zu steuern sind. Es geht vielmehr darum, Kommunikationen zu steuern, da die Organisationen durch die Veränderung von Kommunikationen lernen und sich weiter entwickeln (Grossmann et al., 2015, 36). Dabei ist weitergehend zu berücksichtigen, dass soziale Systeme als komplexe Systeme (vgl. ebd., 33ff) auf jedwede Art von Intervention reagieren. So lässt sich bspw. allein die Ankündigung, dass zukünftig unternehmerischer gedacht und gehandelt werden soll, als Intervention verstehen, da die Kommunikation innerhalb der Organisation angeregt wird, was bereits zu Irritationen des Systems führen kann. In welche Richtung und was von der Organisation gelernt wird, bleibt jedoch völlig offen, man muss sich darüber nur bewusst sein, dass sich etwas verändert. Als wirksames Element, um die „Nichtsteuerbarkeit zu steuern“, wird  die Einführung von Selbststeuerung gesehen. Die Mitarbeitenden denken selbst! Wahnsinn! Aber: „Self-management is still such a new concept that many people frequently misunderstand what it is about and what it takes to make it work“ (Laloux, 2014, 134).

 

 

Konkret aber für unsere sozialen Organisation wäre es denkbar, die schon in vielen (den meisten) Bereichen existierenden Teams (bspw. stationäre Wohngruppe, Gruppe in einer Kita) sich tatsächlich selbst steuern zu lassen. Das klingt wiederum recht einfach, nach dem Motto „Lasst sie mal machen“. Konsequenz davon wird ziemlich wahrscheinlich ziemliches Chaos sein.

Selbststeuerung bedeutet somit nicht, keine Regeln zu haben. Regeln sind sogar elementar! Aber es müssen Regeln der Selbststeuerung sein. Umfassende Ausführungen dazu würden den Rahmen des Artikels hier sprengen. Deshalb nur kurz: Selbststeuerung bedeutet, dass alle Mitglieder der Organisation alle Entscheidungen selbst treffen können, sofern sie sich 1. den Rat der von der Entscheidung Betroffenen und 2. den Rat der Experten in der jeweiligen Angelegenheit eingeholt haben. Ein wesentlicher Aspekt ist hier die Transparenz und der Zugang zu Informationen, auf deren Basis Entscheidungen überhaupt getroffen werden können. Und, ganz klar, ohne Zusammenarbeit und vor allem ein Menschenbild, dass auf gegenseitigem Vertrauen basiert, geht hier nichts. Das Team bestimmt in einem vorgegebenen Rahmen über die Verteilung der Aufgaben, der Ressourcen und der Zeit, in der die Aufgaben durch die Mitglieder erledigt werden.

Zu 2.: Empowerment der Teams

Dieser Punkt hängt (natürlich) eng mit der Bildung sich selbst steuernder Teams zusammen. Und dieser Punkt ist wohl der Voraussetzungsreichste. Konkret geht es darum, Macht abzugeben. Der Manager, der ja – zumindest in traditionellen Auffassungen – die Aufgabe hat, zu kontrollieren, verliert diese Aufgabe. Und nicht nur diese: Empowerment bedeutet hier, dass die Verantwortung WIRKLICH an die Teams abgegeben wird. So kenne ich Organisationen, die zwar viel auf Selbststeuerung setzen, jede einzelne E-Mail aber vom Chef gelesen und meist auch kommentiert wird. Und die Kommentare erfolgen in der Art, was nicht gut an der Mail war. Was folgt daraus? In meinen Augen folgt daraus Stillstand: Die Mitarbeiter haben gelernt, nur noch das zu tun, was von oben abgesegnet wurde. Macht ja auch Sinn: Wenn die letzte Entscheidung (bei jeder dödeligen Mail) beim Chef liegt, wird kein Mitarbeiter, egal wie viel Selbststeuerung passiert, auch nur einen Handschlag Eigeninitiative, Innovation, Engagement zeigen. Logisch, der Chef hat die Letztverantwortung, der Chef hat die Verantwortung, dass das was selbst gesteuert wird, in die richtige Richtung läuft, dass der Laden auch finanziell funktioniert. Aber ganz ehrlich: Wenn die Mitarbeiter wissen, warum sie arbeiten (Vision) und die Mitarbeiter wissen, wie die Rahmenbedingungen aussehen, in denen sie tätig sind (Transparenz) wird doch keiner auf die Idee kommen, kompletten Blödsinn zu betreiben, oder? Ebenfalls hervorzuheben ist in diesem Punkt eine Unternehmenskultur, die die Mitarbeiter über Werte und geschriebenen oder ungeschriebenen Prinzipien auf übergeordnete Organisationsziele (Vision) ausrichtet. Im Kern geht es auch um das Menschenbild. Hab ich schon gesagt, dass ich da später drauf zurück komme? Hab ich…

Zu 3.: Koordination über Unternehmenskultur

Zur Bedeutung der Unternehmenskultur hab ich ja gerade schon etwas gesagt. Wenn in der Unternehmenskultur Werte verankert sind, die die organisationalen Ziele und insbesondere der Zweck, also das Warum der Organisation, so verankert sind, dass die Mitarbeiter diese Ziele tatsächlich leben, kann unternehmerisches, also mutiges, innovatives, verantwortungsvolles Handeln entstehen. Ein wesentlicher Wert der Unternehmenskultur muss aber sein, dass die Entscheidungen, die von wirklich verantwortlichen, sich selbst steuernden Teams getroffen werden, auch von der übrigen Mannschaft und dem Vorgesetzten akzeptiert werden! Ganz ehrlich: Wenn klar ist, in welche Richtung die Organisation steuert, wenn klar ist, warum die Organisation existiert, wenn die Mitarbeiter transparent informiert sind (bspw. auch über finanzielle Aspekte), dann werden die Mitarbeitenden nicht auf die Idee kommen, Entscheidungen zu treffen, die gegen die Organisation laufen. Vielleicht werden die Mitarbeiter andere Entscheidungen treffen, als der Chef, wahrscheinlich ist aber, dass sie bessere Entscheidungen, innovativere Entscheidungen, neue Entscheidungen treffen. Und: Das wollen wir doch eigentlich, oder?

Jetzt aber endlich zu dem angesprochenen Menschenbild. 

Eine inzwischen viel zitierte, in meinen Augen aber hier gut passende Theorie von Menschenbildern, die in Organisationen herrschen, liefert das von Douglas McGregor im Jahr 1960 entwickelte Konzept der Theorie X und Theorie Y.

In der Theorie X wird, kurz skizziert, die traditionelle Gestaltung der Organisation als Ursache von Enttäuschungen in Arbeitssituationen angeführt, was zu Passivität und Desinteresse der Organisationsmitglieder führt, wodurch sich für die Entscheidungsträger die Annahme bestätigt: Das einzige, was den Mitarbeiter interessiert sind eigene Interessen und Drückebergerei! Die Theorie Y hingegen fordert dazu auf, organisatorische Bedingungen zu schaffen, die es den Mitarbeitenden ermöglichen, über eine Erfüllung der Unternehmensziele auch persönliche Ziele und Erwartungen zu erreichen. Eine bedürfnisgerechte Organisationsgestaltung und ein entsprechender Führungsstil führt zur Möglichkeit der Entfaltung in der Arbeit, was wiederum zu Aktivität und Eigenengagement der Organisationsmitglieder führt und die Annahmen der Theorie Y bestätigt. Grafisch dargestellt sieht das ungefähr so aus:

Ich habe bereits einmal hier näher zur Theorie X – Y geschrieben. 

Die Schwierigkeit ist jedoch, dass Menschenbilder nicht mal eben so zu ändern sind. Menschenbilder ändern sich – wenn überhaupt – durch Erfahrungen. Mit anderen Worten: Führungskräfte müssen die Erfahrung machen, dass durch das Engagement der Mitarbeitenden, durch die Abgabe von Verantwortung, durch die Einführung von Selbststeuerung andere, bessere Ergebnisse erzielt werden, als dies durch eigene, einsam hierarchische Entscheidungen passieren würde.

Der erste Schritt?

Vielleicht macht es also, trotz aller Schwierigkeiten, Sinn, dem Chef einmal vorzuschlagen, dass man in der eigenen Organisation nur einen kleinen Teil wirklich selbstgesteuert gestaltet? Vielleicht für einen begrenzten Zeitraum? Um dann zu reflektieren, welche Erfahrungen mit dem Konzert gemacht wurden?

Chef? Wer braucht denn sowas?

Mit Blick auf die Führungskräfte ist natürlich die Angst nicht zu unterschätzen, dass diese in einem organisationalen Konzept, dass die Verantwortung auf die Mitarbeitenden verteilt, gar nicht mehr gebraucht werden. Und ganz ehrlich: Da ist was dran! Die Führungskräfte werden nicht mehr dafür gebraucht, IM Unternehmen zu arbeiten! Aber: Die Führungskräfte können sich endlich darauf konzentrieren, AM Unternehmen zu arbeiten, an der Vision, an dem Weg zur Erreichung der Vision, an der Kommunikation innerhalb der Organisation usw.

Das setzt jedoch wiederum eine völlig andere Führungskultur voraus, ein spannendes, jedoch wiederum enorm komplexes Thema!

Was das Ganze mit dem Thema Augenhöhe zu tun hat?

Naja, wenn Ihr den Film anschaut, dann geht es (aus meiner Perspektive) genau darum: Das Menschenbild in Bezug auf Arbeit zu verändern, um zu einer menschlichen Arbeit zu gelangen, die gleichzeitig ökonomisch nachhaltig ist.

Die Beispiele in den Augenhöhe-Filmen zeigen, dass es gelingen kann.

Zum Weiterlesen:

Dr. Andreas Zeuch: Alle Macht für niemand! Aufbruch der Unternehmensdemokraten

Prof. Dr. Rolf Wunderer: Führung und Zusammenarbeit

Frederic Laloux: Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit

Felix Plötz: Das 4-Stunden-Startup. Wie Sie Ihre Träume verwirklichen, ohne zu kündigen

Über den Autor

Hendrik Epe ist ist Diplom-Sozialarbeiter. Nach seinem Studium und fünfjähriger Tätigkeit in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung hat er das Arbeitsfeld gewechselt und arbeitet seit nunmehr sieben Jahren im Bereich der Gestaltung und Qualitätssicherung von Hochschulen und Studiengängen im Bereich Gesundheit und Soziales. Auf seinem Blog (www.IdeeQuadrat.de) reflektiert er die Entwicklungen der Sozialwirtschaft und lädt zum mitdiskutieren ein.