„Lasst uns gute soziale Konzepte teilen. Damit niemand Teilhabe neu erfinden muss.“

Der Preis für offenherzige Weitergabe zeichnet Projekte aus, die ihre wirksamen Lösungen mit anderen teilen. Warum es sich lohnt, das Rad nicht immer neu zu erfinden.

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by Dr. Julia Poerting, July 31, 2024
Preisträger*innen, Gruppe von Menschen mit Preisen in der Hand

Gesellschaftliche Teilhabe ist für viele Menschen noch immer keine Realität. Dabei ist Teilhabe eine wichtige Voraussetzung für eine starke und vielfältige Demokratie, die für alle lebenswert ist. Deutschlandweit widmen sich viele soziale Organisationen mit wirksamen Lösungen der Verbesserung von Teilhabe, doch oft sind sie nur lokal bekannt. 

Eine Partnerschaft von WOHN:SINN - Bündnis für inklusives Wohnen e.V., Stiftung Bürgermut und Ashoka Deutschland will das ändern. Dafür haben sie den Preis für offenherzige Weitergabe ins Leben gerufen. Der Preis bietet all jenen eine Bühne, die ihre erfolgreichen Konzepte anderen zur Verfügung stellen. Die Methode der Weitergabe ist dabei nicht entscheidend: Die Lösungsansätze können entweder offen weitergegeben („Open Transfer“), im Rahmen von fairen Verträgen übertragen („Social Franchise“) oder auf anderen Wegen verbreitet und adaptiert werden. Der Preis ist Rudi Sack gewidmet, ein Pionier des inklusiven Wohnens und dafür bekannt, sein Wissen und seine Erfahrungen mit allen zu teilen.

Wirkung wird größer, wenn man sie teilt

Die Idee hinter dem Preis ist simpel: Wirkung wird größer, wenn man sie teilt. Warum immer wieder neue Projekte entwickeln, wenn es schon wirksame Lösungen gibt? Im ersten Jahr haben 74 Einreichungen gezeigt, dass eine „offenherzige Weitergabe“ auf vielfältige Art und Weise gelingen kann. Manche Projekte stellen ihre Ansätze open source zur Verfügung, andere stehen ihren Partnerorganisationen über Jahre beratend zur Seite. Die Transfers funktionierten in den verschiedensten Themenbereichen, in denen Teilhabe wichtig ist: Bildung, Gesundheit, Inklusion, Diversität, Generationenzusammenhalt. 

Die Erfahrungen der Bewerber:innen zeigen: Weitergeben hat Vorteile für beide Seiten. Die neuen Projekte profitieren von der Erfahrung und dem Wissen der ideengebenden Organisationen. So lassen sich manche Fehltritte vermeiden und Zeit einsparen. Aber auch die ideengebende Organisation profitiert: Die Weitergabe zeigt Entwicklungschancen für das eigene Konzept auf und bietet Feedback zu Strukturen und Prozessen.

Bildungsgerechtigkeit, gemeinsames Wohnen und KI-Tools – das sind die Preisträger:innen

10 der 74 Einreichungen wurden nominiert, 6 Projekte konnten am Ende Preise mit nach Hause nehmen. Zu gewinnen gab es insgesamt 20.000 € und jede platzierte Organisation erhielt zudem eine individuelle Beratung. Die 6 Preisträger:innen wurden von einer hochkarätigen Jury aus dem Stiftungs-; Engagements- und Sozialunternehmersektor ausgewählt. Dazu zählen unter anderem Katarina Peranić (Gründungsvorständin der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt), Marie Ringler (Europachefin und Mitglied der Global Leadership Group von Ashoka) sowie Kristina Notz (Executive Director der Social Entrepreneuship Akademie).

Mit dem ersten Platz wurde „Das andere SchulZimmer e.V.“ aus Mannheim ausgezeichnet. Die Angebote des Vereins richten sich an junge Menschen im Alter von 15 bis 27 Jahren, die aus dem Schulsystem herausgefallen sind. Im „anderen SchulZimmer“ können sie einen schulexternen Haupt- oder Realschulabschluss erwerben und werden auf den anschließenden Berufseinstieg vorbereitet.  Mit einer Erfolgsquote von über 90% bietet der Mannheimer Verein eine Lösung für diese gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Was "Das andere SchulZimmer" jedoch besonders auszeichnet, ist die großzügige Weitergabe seiner bewährten Konzepte und Erfahrungen. Über regelmäßige Treffen und Hospitationen wurde Wissen and die Gründer:innen von „LU can learn“ weitergegeben. Durch die enge Begleitung der täglichen Abläufe konnten die Ludwigshafener:innen eigene Erfahrungen zu den Prozessen sammeln. Die Zusammenarbeit fand auf Augenhöhe statt und besteht weiter, seit „LU can learn“ im März 2024 erfolgreich starten konnte. 

Den zweiten Preis hat der Verein „Gemeinsam ins Alter Kassel“ gewonnen. Diese Weitergabe zeigt, wie das Undenkbare möglich werden kann. Der Verein, bestehend aus Menschen zwischen 60 und 95 Jahren, hat ein genossenschaftliches Wohnprojekt ins Leben gerufen. Es bietet älteren Menschen nicht nur verschieden große Wohnungen, sondern auch ein aktives, sich gegenseitig unterstützendes Miteinander. Über eine vom Kasseler Verein organisierte Zukunftskonferenz wurde eine Gruppe aus Treysa auf das Konzept aufmerksam. Die Herausforderungen, denen die Gründungswilligen gegenüber standen, waren mannigfaltig: Barrierefreies und behindertengerechtes Wohnen in einer Fachwerkstadt sind schwer umsetzbar, die Pandemie- und anschließenden Inflationsbedingungen fielen in die Zeit der Bauphase. Der enge Austausch mit dem Kasseler Verein war ausschlaggebend für die erfolgreiche Gründung und Realisierung des Wohnprojektes in Treysa. Einige Dinge wurden anders gemacht. Aber das solidarisch-subsidiäre Prinzip, das die Gemeinschaft und das Individualbedürfnis der Bewohner trägt, ist auch im neuen Projekt ein zentraler Bestandteil.

Eine besondere Weitergabe wurde mit dem „Sonderpreis der Jury“ ausgezeichnet. Freuen konnte sich der FC St. Pauli, der ein KI-Tool für Leichte Sprache entwickelt hat und dieses gemeinnützigen Organisationen kostenfrei zur Verfügung stellt. Das KI-Tool wurde entwickelt, um zeitkritische Texte wie Spielberichte live übersetzen zu können. Leichte Sprache ist eine einfache, aber sehr wirkungsvolle Methode, um digitale Teilhabe zu verbessern. Die offenherzige Weitergabe des Tools erhöht die gesellschaftliche Wirkung: mehr als 700 Nutzer:innen haben bisher das Tool genutzt.

Weitergeben lohnt sich

Das Feedback der Preisträger:innen zeigt: Es lohnt sich, seine Ideen zu teilen. Austausch mit anderen Organisationen erhöht nicht nur die Wirkung, sondern hilft auch bei der Weiterentwicklung der eigenen Projekte. Der Preis für offenherzige Weitergabe schafft Sichtbarkeit für die tollen Lösungen, die es schon gibt und rückt die Haltung der Weitergabe in den Vordergrund. Der Preis baut Barrieren zum Weitergeben von Konzepten ab und zeigt, wie die Planung und Umsetzung von Transfer-Projekten gelingen kann. Negah Amiri, Comedienne und Moderatorin der Preisverleihung 2024, fasst es passend zusammen: „Das Besondere an dem Preis ist, dass die Menschen gesehen werden, die Großartiges im Alltag vollbringen. Und ich finde, all die Menschen, die heute hier waren, haben viel mehr Aufmerksamkeit verdient.“ 

Mehr Infos und  weitere Preisträger:innen findet ihr hier.

Foto credits: Titelbild von Hannes Rohrer