Eine gute Antwort auf eine große Frage

Sozialunternehmen können wirksame Lösungen für drängende globale Probleme entwickeln – mit dem richtigen Konzept, dem richtigen Team, und vor allem: Flexibilität und der Bereitschaft zu lernen.

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by Claudia Wittwer, Pressesprecherin EinDollarBrille e.V., October 9, 2019

Header Foto: Martin Aufmuth, EinDollarBrille

Hunderte von Millionen Menschen auf der Welt leiden laut einer WHO-Studie unter einer behebbaren Fehlsichtigkeit, können sich aber keine Brille leisten und haben oft auch keinen Zugang zu augenoptischer Versorgung. Ein Missstand mit Folgen: Erwachsene können keine oder keine qualifizierte Arbeit aufnehmen und ihre Familien nicht ausreichend versorgen, Kinder können dem Unterricht in der Schule nicht folgen – und bleiben zurück.

Mehrere hundert Millionen Menschen mit Brillen zu versorgen – das ist eine Herkulesaufgabe, die sich vor allem die großen supranationalen Organisationen wie die WHO auf die Fahnen geschrieben haben. Welche Möglichkeiten haben demgegenüber Start-ups – mit ihren so viel begrenzteren Mitteln? Mit dem richtigen Konzept eine ganze Menge: Der EinDollarBrille e.V. engagiert sich, basierend auf dem Social Business Konzept seines Gründers Martin Aufmuth, seit nunmehr sieben Jahren für den Aufbau einer augenoptischen Grundversorgung in Entwicklungsländern. Inzwischen ist die Organisation in acht Ländern präsent, hat über 215.000 Menschen mit Brillen versorgt und – ein wichtiger Nebeneffekt - rund 220 Jobs geschaffen. Und dies in Ländern, in denen von einem echten Arbeitsmarkt keine Rede sein kann.


Sehtests / Fotocredits: siehe Bilder

Ein erstaunlicher Erfolg für ein Start-up. Sozialunternehmen können demnach einen enormen Impact erzielen – aber welche Faktoren sind erfolgsentscheidend? Zunächst mal – und das klingt trivialer als es ist – muss das Angebot des Start-ups einen echten Bedarf abdecken und von den Zielgruppen angenommen werden. Das ist angesichts der vielen fehlgeleiteten Mittel in der klassischen Entwicklungshilfe keineswegs selbstverständlich. Martin Aufmuth testete daher gleich zu Beginn in Uganda die Akzeptanz der EinDollarBrille an – und stellte fest: Das Produkt schlägt ein!

Dabei blieb es jedoch nicht: Martin Aufmuth wurde bei seinen Recherchen und Überlegungen im Vorfeld der Gründung der Organisation sehr schnell klar, dass es nicht damit getan sein würde, einfach Brillen in die Entwicklungsländer zu liefern. Denn ähnliche Konzepte gab es ja schon mit Altbrillen, die in Deutschland gesammelt und dann verschickt werden. Aber in wie vielen Fällen passt dann die Sehstärke der Brille wirklich zum Patienten – auf beiden Augen? Und was, wenn die Brille kaputt geht – oder sich die Sehstärke des Patienten ändert? Das Konzept des EinDollarBrille e.V. setzt deshalb nicht „nur“ auf ein Produkt, sondern auf eine nachhaltige Systemlösung: Diese hat eine augenoptische Grundversorgung der Bevölkerung in Entwicklungsländern zum Ziel, die den gesamten Prozess vom kostenlosen Sehtest über die lokale Brillenproduktion bis hin zu einem nachhaltigen Wartungs- und Ersatzglas-Service vor Ort umfasst. Die Brillen werden in den Projektländern von trainierten lokalen Fachkräften produziert und vertrieben; so entsteht Wertschöpfung im Land und die lokalen Mitarbeitenden können sich eine Existenz aufbauen. Da es in den meisten Entwicklungsländern zudem an augenoptischen Fachkräften mangelt, hat der EinDollarBrille in enger Zusammenarbeit mit Augenärzten und Optikern ein eigenes, einjähriges Ausbildungskonzept für Best-Spherical-Correction (BSC) entwickelt. Dieses befähigt dazu, beim Sehtest zuverlässig das bestmögliche sphärische Brillenglas zu finden und die Brille fachkundig anzupassen. Ein Konzept also, das ein ausgeklügeltes Produkt- und Herstellkonzept mit dem Faktor Ausbildung und der Schaffung von Jobs verbindet – und auch den Fachkräftemangel vor Ort adressiert.


Einstellen einer Brille / Fotocredit: siehe Bild

Erfolgsfaktor Know-how – und Identifikation!

Das ist ein anspruchsvolles Vorhaben – das ohne die erforderliche Expertise „an Bord“ nicht umzusetzen ist. Bedarf besteht dabei keineswegs „nur“ an augenoptischen Fachkräften; gebraucht werden außerdem Spezialisten für den Auf- und Ausbau einer modernen IT-Infrastruktur (in Deutschland und den Projektländern), Marketing- und Finanz-Fachleute und vieles mehr. Mit einer mitgliederorientierten Organisationsstruktur (unter anderem über die Einrichtung von Regionalgruppen in ganz Deutschland), einer wirkungsvollen externen und internen Kommunikation sowie einer positiven und wertschätzenden Kultur gelingt es dem EinDollarBrille e.V., ein kompetentes interdisziplinäres Team aufzubauen und zu binden. Wichtig ist daneben außerdem die Integration von Know-how aus den Projektländern in die Planungs- und operativen Prozesse.

Das Konzept des EinDollarBrille e.V. kann für eine weltweite und standortnahe augenoptische Versorgung einen maßgeblichen Beitrag leisten, und dabei spielt vor allem das Ausbildungsprogramm für augenoptische Fachkräfte eine wichtige Rolle. Die Organisation strebt daher die Vernetzung mit international präsenten Akteurenwie der International Agency for the Prevention of Blindness (IAPB) an und betreibt hier gezielte Lobbyarbeit. Über kostenlose Sehtests, Aufklärungsarbeit in Schulen und Communities, den Aufbau von Beziehungen mit Gesundheitsinstitutionen und andere Aktivitäten in den Projektländern schafft der EinDollarBrille zudem in den Projektländern ein wachsendes Bewusstsein für die Bedeutung guten Sehens und die Wirkung von Brillen.

Testen – und aus Fehlern lernen

Das Projekt des EinDollarBrille e.V. ist auch deshalb so komplex, weil die Ausgangsvoraussetzungen und Umsetzungsbedingungen in den Projektländern so unterschiedlich ausfallen. Was in Malawi funktioniert, kann in Indien scheitern. Vertriebskonzepte, Preisgestaltung, Ansprache potenzieller Patienten – Methoden und Prozesse für all das wollen ausprobiert und evaluiert werden. Im vergangenen Jahr führte die Organisation in Malawi beispielsweise eine „Willingness-to-pay“-Studie im ländlichen Raum durch, um die Lebens- und finanziellen Verhältnisse der Menschen zu untersuchen und darauf aufbauend die Preisgestaltung für den ländlichen Raum im Land anzupassen.

Daneben – und dies gilt vermutlich für alle Unternehmungen – sind es sicher vor allem die mentalen Voraussetzungen, die ein Social Business zum Erfolg führen – oder eben nicht: „Wir lernen kontinuierlich dazu, und verbuchen auch Fehlschläge als wichtige Erfahrungen, die uns weiterbringen“, konstatiert Gründer Martin Aufmuth. Besonders stark ins Gewicht fällt bei der EinDollarBrille außerdem der Faktor „Identifikation“: Viele Aktive beim EinDollarBrille e.V. sind Brillenträger, und ihnen allen ist der Wert einer augenoptischen Versorgung mehr als bewusst. „Als Schülerin konnte ich nichts von der Tafel lesen und habe die Schule dann vorzeitig verlassen. Auch später konnte ich mir nie eine Brille leisten. Seit vier Monaten trage ich nun meine EinDollarBrille und kann so gut damit sehen“, berichtet die 40-jährige Margaret aus Blantyre (Malawi). Eine der vielen bewegenden Geschichten, die belegt, welchen Einfluss eine einfache Brille auf den Verlauf eines ganzen Lebens haben kann – und die die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden des EinDollarBrille e.V. jeden Tag erneut für ihr Engagement motiviert.

Du willst dabei sein – oder erstmal wissen, welche Möglichkeiten es gibt, sich beim EinDollarBrille e.V. zu engagieren?
Informationen gibt es bei Ullrich.Angersbach@onedollarglasses.org und im Netz unter www.eindollarbrille.de