Weil unsere zeitlichen Ressourcen enorm knapp sind, haben mein Mann und ich schon öfter den Anlauf genommen, uns zu Hause Unterstützung durch Putzkräfte zu holen. Wir haben privat gesucht oder über spezialisierte Plattformen, die Reinigungskräfte vermitteln. Was in unserer Erfahrung alle Dienstleister*innen gemeinsam hatten: So richtig Ahnung hatten sie von ihrem Job nicht. Die Fenster hatten Schlieren nachdem eine Person sie geputzt hatte, eine andere Person reinigte mit den gleichen Handschuhen, mit denen sie Minuten zuvor das Klo putzte, unsere Kochutensilien (ohne die Handschuhe vorher zu waschen), wieder eine andere wusste keine Lösung für Kalkflecken im Bad. Und ich bin überzeugt, dass das daran liegt, dass Putzen so weit unten in der Hierarchie unserer Vorstellung von Profession steht, dass die ganze Gesellschaft denkt, das „kann“ jede*r, die*der einfach nur bereit ist, diesen Job zu machen.
In Wirklichkeit gibt es aber nur sehr wenige Tätigkeiten, die man wirklich „ungelernt“ professionell ausüben kann. Das wurde mir spätestens klar, als ich einen Möbelpacker gesehen habe, wie er sich geschickt meine Waschmaschine auf den Rücken hievte und alleine in meine Wohnung trug. Und so kommt es auch, dass eine Kompetenz wie Fenster relativ mühefrei streifenfrei zu bekommen, gleichsam zu einem Hausfrauen-Mysterium ebenso verklärt wie abgewertet wird – als gäbe es da irgendwelche magischen Tricks, die nicht-Hausfrauen leider nicht zugänglich seien. Dabei geht es bei „ungelernten Tätigkeiten“ nicht darum, dass man dafür tatsächlich nichts gelernt, sich keine Fertigkeiten angeeignet haben muss – sondern um einen Vorwand, diese Tätigkeiten abzuwerten und möglichst gering zu entlohnen. Es geht darum, auszunutzen, dass es Menschen gibt, die wirklich dringend einen Job brauchen.
Und das ist so absurd wie tragisch, weil das, was wir gemeinhin als Professionalität und Seriosität wahrnehmen, nicht notwendigerweise mit echter Kompetenz zu tun hat. Denn das Problem ist: Hinter dem, was wir als Professionalität und Seriosität verstehen, stecken in Wirklichkeit nämlich schlicht Herrschaftsinstrumente. Und die Grundlagen dafür sind mal wieder Klassismus, Patriarchat, Rassismus und Ableismus (=die Diskriminierung von Menschen auf Basis ihrer Behinderung) . Und das hat auch etwas damit zu tun, worüber ich neulich schon geschrieben habe: dass wir den zugestandenen Wert von Lohnarbeit nicht von ihrer tatsächlichen Wichtigkeit abhängig machen, sondern davon, wer sie ausübt.
Dafür legt übrigens bereits unser Bildungssystem die Grundlage. Zu den Funktionen von Schule gehört nämlich per Definition (!) nicht nur die Vermittlung von bestimmten Kenntnissen, sondern auch die sogenannte Allokation, also die Zuweisung von Menschen in eine soziale Ordnung von oben nach unten. Und diese Ordnung will weiterhin geschützt werden. Und das tun wir indem wir z.B. unter „bildungsfernen“ Menschen einfach Menschen zusammenfassen, die in erster Linie „universitätsfern“ sind – und sie dafür abwerten. Das erfordert auch, dass wir bestimmtes Wissen als Bildung anerkennen und bestimmtem Wissen den Bildungscharakter aberkennen. Dafür gibt es ein Wort: epistemische Gewalt (epistemisch kommt aus dem altgriechischen und bedeutet Wissen).
Das bedeutet, dass unser Verständnis von Professionalität vor allem von einer bestimmten Repräsentation von Klassenzugehörigkeit, mit einem bestimmten Habitus geprägt ist, und unterm Strich: mit Performance und Souveränität. Und das ist in Wahrheit oft: ein so tun als ob. Mit der Folge, dass auf allen möglichen Ebenen Ausschlüsse konstruiert werden. Denn Seriosität und Souveränität haben so viel damit zu tun, was wir uns selbst und unserem Gegenüber zutrauen und erlauben – und was wir uns zutrauen und erlauben hat viel damit zu tun, welchen Platz wir in den verschiedenen Macht- und Diskriminierungshierarchien haben und welche Perspektiven sich daraus ergeben.
Das kann man runterbrechen auf relativ einfache Merkmale, die auf uns mehr oder minder unbewusst professioneller, seriöser, souveräner, kompetenter wirken, z.B.: ein bestimmtes Auftreten, bestimmte Kleidung, ein bestimmtes Aussehen, eine sonore Stimme, die Fähigkeit ohne Notizen zu sprechen, eine bestimmte Herkunft, die Verwendung eines bestimmten Duktus, ein bestimmtes Verständnis von „neutraler Sachlichkeit“ das explizit auf Emotionalität verzichtet, eine fehlerlose Rechtschreibung.
Wie viel Schaden das alles anrichtet wird klar, wenn man sich anguckt, wie sich unser Verständnis von Professionalität, Seriosität, Respektabilität und Fachkundigkeit konkret übersetzt: Dress Codes auf offiziellen Ebenen (z.B. politisch oder wirtschaftlich) sind auf sogenannte „westliche“ Kleidung geeicht – selbst wenn die Vertreter*innen vom asiatischen oder afrikanischen Kontinent kommen. Dick_fetten Menschen werden keine Führungsqualitäten zugetraut. Schwarze Menschen weisen schon lange auf ihre Erfahrung hin, dass krause Locken oder die für diese Haarstruktur natürliche Frisuren wie Braids oder Locks als explizit nicht-seriös abgewertet werden. Frauen mit Kindern müssen dafür sorgen, dass man ihnen nicht anmerkt, dass sie Kinder haben, wenn sie als professionell wahrgenommen werden und Karriere machen wollen. Viele größere Unternehmen zahlen lieber monatlich die Ausgleichsabgabe an das Integrationsamt, weil sie nicht die gesetzliche Auflage erfüllen wollen, 5% ihrer Belegschaft mit Menschen mit Behinderungen zu besetzen. Und Studien zeigen, dass Menschen, die mit Akzent sprechen, als weniger kompetent und glaubwürdig wahrgenommen werden – was auch deshalb eine schwer entrinnbare Sackgasse ist, weil andere Studien ergeben dass Braunen und Schwarzen Menschen, die akzentfrei Deutsch sprechen, oft ein Akzent unterstellt wird, den die Studienteilnehmer*innen nur dann „hören“, wenn sie wissen, dass es sich bei den Sprecher*innen um Braune und Schwarze Menschen handelt.
Diese Merkmale und unser Verständnis von Professionalität wirken auch umgekehrt: So gibt es immer noch kaum Bewusstsein, dass das völlige Fehlen von rassismuskritischem Wissen z.B. in pädagogischen Berufen schlicht eine mangelnde Professionalisierung darstellt – denn „das Problem“ sind laut der Narrative zu den Aufgaben und Erwartungen rund um das Thema Migration/Integration in Bildungssystemen nicht die Unvorbereitetheit des pädagogischen Systems, sondern „die Migrant*innen“ (natürlich nur die aus bestimmten Ländern).
Und weil Professionalität einen absoluten Charakter hat, ist ein weiteres tragisches Merkmal: die Abwesenheit von Unsicherheit und Irrtümern – mit fatalen Folgen für die gesamte Fehlerkultur unserer Gesellschaft. Es ist klar: Wenn Fehler eine Professionalität, eine Kompetenz, eine Souveränität in Frage stellen, liegt es nahe, Fehler zu leugnen, gar in den Gegenangriff zu gehen, wenn man auf Fehler hingewiesen wird. Und unsere gesamtgesellschaftliche Übereinkunft, performter Souveränität zu erlauben, von oben herab zu agieren, uns einzuschüchtern und Definitionen und Narrative zu bestimmen, macht uns zu Kompliz*innen dieses Dominanzsystems. Denn es ist auch Konsens, dass zu Souveränität auch eine Form von Unberührtheit, eine Art Coolness gehört. Und das Ding ist: Wer von ungerechten Verhältnissen nicht betroffen ist, kann leicht aus einer unberührten Position heraus argumentieren, die gerne mit Vernunft und Neutralität verwechselt wird – dieses Privileg haben Betroffene dieser ungerechten Verhältnisse nicht. Gleichzeitig macht sie gerade die Betroffenheit, ihre direkte Erfahrung viel eher zu Expert*innen zu diesem bestimmten Thema als eine außenstehende Person. Aber wehe, sie lassen sich in einem Diskurs, der „sachlich“ sein soll, anmerken, dass sie emotional berührt (frustriert, empört, verletzt) sind. Bekanntlich sind Gefühle das Gegenteil von Vernunft und Neutralität – und so kann man Betroffenen zack! Glaubwürdigkeit und Seriosität entziehen.
Wir brauchen dringend einen Paradigmenwechsel dazu, wie wir Professionalität und Seriosität verstehen, wir brauchen ein Re-Humanizing von Professionalität. Weil zu Professionalität in Wirklichkeit das Einräumen und die Reflexion von Irrtümern gehört, und diese Praxis die Professionalität nicht in Frage stellt, sondern vielmehr bedingt. Weil Gefühle und Unsicherheiten nicht unvernünftig sind oder machen, sondern zu jedem einzelnen Thema auf diesem Planeten dazugehören. Wir brauchen ein Verständnis von Professionalität, das einen Prozess-, einen Übungs-Charakter hat, das nicht in Anspruch nimmt, ab einem bestimmten Punkt „fertig“ zu sein. Weil Professionalität, Kompetenz und Expertise in allen möglichen Formen existiert.
Mit dieser Kolumne möchten wir gemeinsam mit unseren Freund*innen von Wildling Shoes den Themen Antidiskriminierung, Belonging und Intersektionalität am Arbeitsplatz mehr Raum und Sichtbarkeit geben. Durch Artikel, Interviews und verschiedene Perspektiven wollen wir uns und alle, die im Impact-Sektor arbeiten herausfordern und inspirieren. Und gleichzeitig ermutigen, authentisch gelebte Arbeitsbereiche zu schaffen, die Zugehörigkeit fördern und Diskriminierung reduzieren. Indem wir neue Perspektiven gewinnen und einen gemeinsamen Dialog führen können wir einen kollektiven Schritt in Richtung eines radikalen Systemwandels im Impact-Sektor gehen – von „Macht über“ und „Macht für“ zu „Macht mit“. Unsere Kolumnist*in für das Jahr 2022 ist Sohra Behmanesh.
Sohra Behmanesh lebt mit ihrer Familie in Berlin, arbeitet als freiberufliche Anti-Rassismus-Trainerin und findet Fürsorge und Empathie ebenso großartig wie Intersektionalität.
Hier könnt ihr mehr Artikel aus der Belonging Kolumne lesen: https://www.tbd.community/en/t/to-belonging
Foto: Kris Wolf