Klassische Stadttour kann ja jede(r). In jeder großen Metropole findet sich mittlerweile eine große Bandbreite an verschiedensten Führungen, von kostenloser Tour für den kleinen Geldbeutel bis zu sportlichen Touren mit dem Fahrrad. Green Berlin ist natürlich auch hier Vorreiter und lässt das Herz von Besuchern und Besucherinnen der Stadt höher schlagen, die sich für Nachhaltigkeit und Mode begeistern. Welcome to Green Fashion Tours Berlin! Wir haben auf jeden Fall gleich Lust bekommen an einer Führung teilzunehmen und haben Arianna Nicoletti (rechts auf dem Foto), die Mitgründerin, zu den Führungen, ihrem Upcycling-Fashion-Store, der Green Fashion Szene in Berlin und Tipps für einen nachhaltigeren Alltag interviewt.
Was ist das besondere an euren Stadtführungen durch Berlin? Wie kann man sich so eine Tour vorstellen?
Unsere Stadtführungen bringen die Teilnehmer direkt zu den Change-Maker und Pionieren der nachhaltigen Mode. Es sind von Experten geführte urbane Exkursionen, bei welchen wir Designer in ihren Ateliers, Laden-Besitzer in ihren Concept-Stores und „forward-thinking Unternehmer“ besuchen.
Die Green Fashion Tours informieren über die negativen Zusammenhänge der Modeindustrie, zeigen die lokalen Alternativen zur Fast-Fashion auf und inspirieren die Teilnehmer durch die persönlichen Geschichten der kreativen Fachleute hinter erfolgreichen nachhaltigen Mode-Geschäften. Bei unseren Touren gibt es umfangreichen Input zu Fair Fashion und bewusstem Modekonsum, Einblicke in lokale Manufakturen sowie Insights zu Upcycling Design und Innovation in der Modebranche. Außerdem bieten wir Tour & Workshop Pakete an, bei denen Hands-on Erfahrungen gesammelt werden können. Im Programm haben wir zum Beispiel Upcycling von Second Hand-Bekleidung, Handweben oder pflanzliches Färben von Textilien.
Green Fashion Tours ist aus mehreren Projekten aus dem Fashion Bereich entstanden. Wie kam es zu der Gründung? Und welche Herausforderungen waren hierbei besonders prägend?
Zuerst hatten wir die Idee eine Roadmap über Upcycling Projekte in Berlin zu kreieren. Die haben wir 2013 als Upcycling Fashion Store in Zusammenarbeit mit Visit.berlin realisiert. Dank der Kollaboration mit GetChanged! e.V. sind dann 2014 die ersten Green Fashion Roadmaps für Berlin, Hamburg und Zürich entstanden. So habe ich Anna Perrottet (GetChanged! e.V.) kennengelernt und bald beschlossen mit ihr regelmäßig geführte Touren zu organisieren. Mit Unterstützung von Mariangeles (HolaBerlin und Therapy Recycle & Exorcise) haben wir Routen, Fokusthemen und Inhalte definiert und begonnen auf Social Media zu kommunizieren.
Ein paar Monate später hatten wir bereits eine Webseite und zahlreiche Gruppen, die maßgeschneiderte Touren anfragten.
Eine der größten Herausforderungen war es, eine passende Rechtsform zu finden. Glücklicherweise konnten wir als Bildungsprojekt sofort beim gemeinnützigen Verein Future Fashion Forward andocken. Wir freuen uns bis heute Teil dieser tollen Organisation zu sein.
Herausfordernd war für uns auch die Organisation der Aufgaben und die Entscheidung das Projekt weiter zu entwickeln und Energie zu investieren, obwohl wir parallel in mehreren anderen Projekten und Jobs involviert waren und eigentlich ziemlich wenig Zeit hatten. Trotzdem war das Potential der Green Fashion Tours so klar und ernst zu nehmen, dass Anna und ich diese Chance nicht verlieren wollten und am Wochenende Schichten einlegten, um schnellstmöglich unser Vorhaben umzusetzen. Das klingt vielleicht etwas arbeitswütig, aber es hat uns großen Spaß gemacht. Und jetzt können wir die Ergebnisse unserer Arbeit genießen!
Du hast ja nicht nur Green Fashion Tours gegründet, sondern auch schon ein Mode-Label und den Upcycling Fashion Store. Wie sieht denn ein „normaler Arbeitstag“ von dir aus? Wie managst du deine verschiedenen Aufgaben?
Normaler Arbeitstag? So was habe ich zum Glück noch nie gehabt…
Als wir den Upcycling Fashion Store hatten, war ich unter der Woche sehr oft im Laden beschäftigt. Um mit den täglichen Öffnungszeit von 8 Stunden alles nebenher hinzubekommen, musste ich (und das ganze Team) extrem organisiert und effizient arbeiten. Seit wir dann den Laden im Februar 2017 geschlossen haben, bin ich unglaublich frei in der Gestaltung meiner Arbeitswoche, welche ich am Wochenende anhand der anstehenden Deadlines und Termine vororganisiere.
Ich versuche mich je nach Priorität nur auf ein Projekt am Tag zu fokussieren. Es gibt also aluc Tage, Green Fashion Tours Tage oder Future Fashion Forward Tage (im Verein bin ich in verschiedenen Bildungsprojekten sowie in der Administration involviert).
Es gibt mindestens einen wöchentlichen Jour-Fix mit dem Green Fashion Tours Team, bei dem wir Feedback und Updates teilen, sowie gemeinsam die Tours weiterentwickeln.
Ansonsten ist jeder Tag anders und frei zusammenstellbar. Diese Freiheit gibt mir die Möglichkeit auch spontan die Führung einer kurzfristig gebuchten Tour zu übernehmen. Ich entscheide oft spontan, wie viele Stunden am Tag ich arbeiten und wie viele Pausen ich mir nehmen möchte.
Wichtig sind für mich vor allem die ersten Stunden am Morgen, bei denen mein Gehirn am besten und am schnellsten arbeitet. Dieser erste Teil des Tages wird – vor allem im Stressphasen- durchgeplant. Nach dem Mittagessen wird alles langsamer....aber mit einer langen (!!) Pause kommt die Konzentration wieder!
Ich liebe es auch am Wochenende kleine Arbeitssessions zu machen, um stressfrei Aufgaben zu erledigen, für die ich unter der Woche keine Zeit gefunden habe.
Die Green bzw. Fair Fashion Szene in Berlin scheint stark zu boomen. Welchen Eindruck hast du von der Szene? Gibt es spannende Insights, die du mit uns teilen kannst?
Die nachhaltige Modeszene in Berlin ist schon vor ein paar Jahren aus dem Boden geschossen und erlebt jetzt eine tolle Phase, indem sie endlich auch das richtige Publikum hat. Das bedeutet, dass die etablierten Fair Fashion Läden gut laufen und sich neue Designer und Gründer empowered fühlen auch etwas zu starten. Diese Unternehmer entscheiden sich immer öfter nachhaltige Konzepte in den Mittelpunkt ihres Geschäftes zu stellen, ihre Werte zu leben und ihre Visionen für die Welt zu verwirklichen. Das ist eine positive Tendenz, die ich gerade in Berlin – und allgemein in ganz Deutschland – wahrnehme.
Was ist deine persönliche Meinung: Fair, Green oder Second Hand Fashion? Oder etwas ganz anderes?
Circular Fashion. Die Zukunft der Mode liegt in geschlossenen Kreisläufen. Zirkularität beinhaltet Fair, Green, Second Hand und viele andere Konzepte und öffnet neue Türen für die Entwicklung vielfältiger innovativer Geschäftsmodelle.
Die globale Modeindustrie braucht „Closed Loop“- Systeme für Ressourcen, für industrielle Abfallprodukte, für post-consumer Textilmüll, für mehr Synergien und Kooperationen zwischen den verschiedenen Stakeholdern.
Für eine lange Zeit war Upcycling Design – also die Entwicklung von Neuem aus Altem oder aus Abfall - die einzige Design-Philosophie, die das Thema Textilmüll adressierte und für Aufmerksamkeit in der Presse und der Gesellschaft sorgte. Heute wissen wir alle, dass Upcycling nur eine Teil- bzw. Zwischenmaßnahme für eine dringende Notwendigkeit ist: Müllreduktion.
Glücklicherweise arbeiten viele an fantastischen Projekten und Innovationen im Bereich der Circular Economy für Textilien. Von Fasern aus Abfallprodukten der Food-Industrie (wie z.B. Orange Silk oder Milchfaser) über Kleider-Ausleih-Geschäfte (z.B. die Kleiderei in Hamburg oder LENA the fashion library in Amsterdam) bis zu digitalen Plattformen für mehr Transparenz und Vernetzung verschiedener Akteure innerhalb der Modelieferkette (unter anderen: Sourcebook, Circular.Fashion, Circle Lab, usw..) gab es in den letzten Jahren viele bahnbrechende Gründungen.
Hast du ein paar leicht-umsetzbare Tipps, wie sich man/frau nachhaltiger kleiden kann?
Mein erster Tipp ist: Neugierig sein und nachfragen. Wenn das Personal eines Modegeschäftes nicht sagen kann, woher die Produkte und Materialien kommen, ist das ein Zeichnen für fehlende Transparenz. Ich finde es wichtig Läden und Designer zu unterstützen, die sich um die Herkunft ihrer Produkte kümmern und ihre ganze Geschichte erzählen können.
Zweiter Tipp: Second-Hand kaufen oder Kleidung tauschen. Dadurch bleiben Textilien und Kleidung so lang wie möglich im Kreislauf.
Dritter Tipp: Sich unsere Green Fashion Tours Map Berlin schnappen und tolle nachhaltige Läden und Produkte entdecken! Einfacher geht es nicht ;)
Meine Tipps für das Weitergeben von Kleidung: Kleiderspenden persönlich zu Sammelorganisationen bringen. Dadurch erhöhen sich die Chancen einer Sortierung und einer direkten (Weiter-)Nutzung. Textilmüll in Kleidersäcke packen, als „Textilmüll“ mit dicken Stift beschriften und in Kleidercontainer einwerfen oder zur lokalen Abfallmanagement-Anlage bringen. Niemals Textilien in den Hausmüll werfen.
Wie sieht es bei dir mit Zukunftsplänen aus? Bist du zufrieden damit, wo du jetzt bist? Hast du weitere Ziele für die Zukunft?
Ich bin natürlich sehr froh über die Entwicklung der Projekte, die ich zusammen mit tollen Teams aufbauen durfte. Der aktuelle Stand ist jedoch noch weit von dem entfernt, wo wir in ein paar Jahren sein möchten. Denn meine Aufgabe ist es, allen Konsumenten die notwendigen Informationen, um bewusste Kaufentscheidungen treffen zu können, zugänglich zu machen.
Viele Projekte entstehen oft spontan aus Kollaborationen mit Menschen, die ich auf dem Weg treffe. So sind zum Beispiel die „Circular Economy Tours“ (www.circulareconomytours.com) aus der Kollaboration mit Claudi Sult von GreenMe Berlin entstanden. Oder auch die „Handicrafts and Local Manufactories Tour“ und die „Natural Dyes and Slow Fashion Tour“ aus der Zusammenarbeit mit Experten wie Dagmar Rhese von handgewebtinberlin und Elke Fiebig von Still Garments.
Gerade planen wir die Green Fashion Tours in weitere deutsche Städte zu bringen, um zu zeigen wie stark diese Szene überall gewachsen ist. Wir haben dafür schon unglaublich viele tolle und offene Kollaborationspartner gefunden!
Soviel darf ich schon mal verraten: Die erste neue Stadt wird München!