Gesundes Arbeiten ist möglich!

Krankmachende Arbeit vs. Arbeit, die gesund macht

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von Günter Thoma, September 6, 2024
group people happy work

Arbeit macht mehr und mehr krank. Arbeit kann aber auch uns und unserer Gesundheit dienlich sein, wenn wir sie richtig gestalten. Das Konzept „New Work“ von Frithjof Bergmann zeigt Wege auf, wie wir dahin kommen.

1. Arbeit, die krank macht

Statistiken bestätigen, was wir am eigenen Leib erfahren bzw. in unserem Arbeitsumfeld wahrnehmen: immer mehr Menschen leiden unter ihrem Job bzw. unter den Bedingungen, unter denen sie arbeiten müssen. Körperliche Beschwerden wie Bluthochdruck, Rücken-schmerzen oder Herz-Kreislauf-Probleme drohen zu Volkskrankheiten zu werden.  Psychischen Erkrankungen nehmen unaufhörlich zu.

So stellt die AOK fest (und bei den anderen Krankenkassen sieht es nicht viel anders aus): „Die Zahl der psychischen Erkrankungen und die daraus resultierenden Fehltage stiegen seit 2010 um 56 Prozent. Der Fehlzeiten-Report 2022 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) ermittelte, dass psychische Erkrankungen bei den AOK-Versicherten Beschäftigten 2021 mit 12 Prozent aller Krankheitsfälle die zweithäufigste Krankmeldungsursache waren.

Psychische Erkrankungen bringen zudem häufig lange Ausfallzeiten mit sich. Im Schnitt dauerten sie 29,7 Tage – das ist mehr als doppelt so lang wie die durchschnittliche Zahl der Krankheitstage bei anderen Erkrankungen, die bei 13,2 Tagen liegt“. Psychische Belastung Arbeitsplatz | AOK-Arbeitgeberservice

Dabei sollte nicht vergessen werden, dass arbeitsbedingte Krankheiten die Spitze des Eisbergs sind. Lange bevor Menschen krank werden, führen die Mängel und Missstände im Jobsystem bereits zu Symptomen wie Stress, Unzufriedenheit, einseitiger Belastung, Nervosität, Gereiztheit, Verstimmung, Unausgeglichenheit, Ohnmachtsgefühlen oder Erschöpfungszuständen.

Welches aber sind die Mängel und Missstände, die uns das Arbeitsleben schwer machen. Nachfolgend sind die Wichtigsten aufgeführt, die sich negativ auf uns und unsere Gesundheit auswirken:

  • Mehrarbeit 
  • Leistungsdruck 
  • Zeitdruck 
  • Erfolgsdruck 
  • Konflikte im Team 
  • Inkompetente Führung 
  • Unvereinbarkeit von Arbeit und Leben 
  • Brachliegendes Potenzial, das man im Job nicht verwirklichen kann 
  • Pendeln
  • Prekäre Beschäftigungsverhältnisse 
  • Sinnlose Jobs

Fazit: Das vorherrschende Arbeitssystem ist mit Missständen befallen wie das Gesicht eines Kindes, das Röteln hat. Eigentlich sollte man eine Kampagne parallel zur Anti-Raucher-Kampagne starten mit Überschriften wie: „Der Job kann krank machen“.

Es wäre eine Illusion zu glauben, dass diese Mängel und Missstände abnehmen oder gar wieder verschwinden.

Im Gegenteil: sie haben bisher zugenommen, werden dies weiterhin tun und neue werden hinzukommen. Eine entscheidende Ursache hierfür ist die Ökonomisierung der Arbeit, also die Tatsache, dass Arbeit primär unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten organisiert wird.

Dieser Prozess ist in einer Industriegesellschaft nicht nur unumkehrbar, sondern beschleunigt sich auch. Insofern besteht die Herausforderung darin, uns vom Lohnarbeitssystem zumindest teilweise zu emanzipieren. Anders formuliert: Finden wir keinen Weg, anders als bisher zu arbeiten, so werden wir als Erwerbstätige immer mehr gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogen.

2. Arbeit, die gesund macht

So wie es Arbeit gibt, die uns krank macht, so gibt es natürlich auch Arbeit, die uns und unserer Gesundheit förderlich ist. Ich beziehe mich dabei auf das vielschichtige Konzept „New Work“ des Philosophen und Arbeitsexperten Frithjof Bergmann. 

Arbeitszeitverkürzung

Bergmann schlägt als erstes eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung vor. Denn diese ist die effektivste Art und Weise, die Stressoren zu begrenzen und so einer Überforderung vorzubeugen. Warum ist das Reduzieren der Arbeitszeit besser oder effektiver als Aktivitäten wie Yoga, Achtsamkeitsübungen, Rückentraining oder Fitness-Studio? Weil dadurch am meisten etwas an den Ursachen ändert. Nehmen wir zum Beispiel jemanden, der stattdessen ins Fitness-Studio geht, um seinen Rücken zu stärken.

Der Gang ins Fitness-Studio

  • ändert nichts an den negativen Arbeitsbedingungen. Das Rückentraining sorgt nur dafür, dass wir eine Zeitlang die Belastungen weiter aushalten.
  • Die Stressoren suchen sich auf Dauer andere Schwachstellen – anstelle von Rückenschmerzen schlägt der Job möglicherweise auf den Magen.
  • Die Arbeitsbedingungen werden sich weiter verschlechtern; dann reicht das Rückentraining nicht mehr aus.
  • Von all dem abgesehen, muss man sich bewusst sein, dass die Zeit im Fitness-Studio die Zeit erhöht, die wir für den Job aufbringen. Denn man geht trainieren, um für den Job fit zu sein.

Die Arbeitszeitverkürzung, sprich eine Vollzeitstelle umzuwandeln in einen Teilzeitjob, dient also dazu, den Einfluss der krankmachenden Faktoren auf uns zu verringern. Darüber hinaus sei an dieser Stelle erwähnt, dass Teilzeit weitere bedeutsame Vorteile hat. Zum Beispiel:

1. Teilzeit ist die Voraussetzung, die bereits verlängerte und sich verlängernde Lebensarbeitszeit zu bewältigen. Denn da man sich durch Teilzeit nicht verausgabt, bleibt die Arbeitskraft und Arbeitsfähigkeit dauerhaft erhalten. Teilzeit ist also im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig.

2.  Als Teilzeitkraft ist man produktiver, weil man auf Dauer in weniger Arbeitszeit mehr zu leisten in der Lage ist als Vollzeitkräfte. Ein Grund dabei ist die intrinsische Motivation, weil man weiß, bald hat man wieder frei.

3. Menschen, die gesundheitlich angeschlagen bzw. nicht so leistungsfähig sind, mögen zwar keinen Vollzeit-Job, jedoch aber einen Teilzeitjob ausüben können.

4. Der Teilzeitjob schafft die Bedingung für eine gelungene Work-Life-Balance. Viele Menschen sind unzufrieden damit, dass sie Beruf und Leben nicht gut genug „unter einen Hut bekommen“, weil die Arbeit einen immer mehr vereinnahmt. Teilzeit begrenzt den Einfluss der Arbeit auf das Leben und ermöglicht eine individuelle Lebensgestaltung. Dies wiederum führt zu zufriedenen Mitarbeitenden.

Der Teilzeitjob bedeutet einen Verlust an Einkommen. Damit dies nicht der Grund ist, an der Vollzeitstelle festzuhalten, schlägt „New Work“ folgende Wege vor, wie man diesen Verlust ausgleichen kann:

1. „New Work“ ermöglicht es, solange zu arbeiten wie man will oder kann.

Das Konzept orientiert sich nicht an den künstlichen Altersgrenzen von 65 oder 67. Es gibt keinen Grund mit „Arbeiten/Tätig-sein“ aufzuhören. Wir alle kennen Beispiele von Menschen, die bis zum letzten Atemzug tätig waren: Arbeiten kann ein Segen sein und nicht zu arbeiten ein Fluch. Der Grund, warum so viele so bald wie möglich mit dem Arbeiten aufhören wollen und sich den ewigen Urlaub als Paradies vorstellen, hat ja damit zu tun, weil die Arbeit so belastend ist. Wäre das nicht der Fall, würden viele Menschen gerne länger arbeiten. Unser Motto lautet daher: weniger und dafür länger arbeiten. Und damit wird der Verlust an Einkommen, verursacht durch den Teilzeitjob, schon reduziert, weil man länger im Leben arbeitet.

2. Die Digitalisierung der Arbeit hat bereits angefangen und ist nicht aufzuhalten.

„New Work“ begrüßt diese Entwicklung. Wichtig aber ist, dass die Gewinne aus Effizienz- und Produktivitätsfortschritten auch dem Mitarbeiter zugutekommen. Das heißt: Lohn und Gehalt steigen mit den Produktivitäts-Fortschritten im Laufe der Zeit.

3. Viele Menschen konzentrieren sich mehr auf ihre Einnahmen- als auf ihre Ausgabenseite.

Es ist aber möglich, weniger Geld auszugeben und so den Zwang des Geldverdienens zu reduzieren. Das Stichwort lautet hier: Selbstversorgung. Durch Selbstversorgung stellt man sich selbst Dinge her, statt sie zu kaufen. Das heißt, man benötigt weniger Geld für den Lebensunterhalt. Man ersetzt Geld durch Eigenleistung. Wir begrüßen und unterstützen jede Form von Eigenarbeit. Viele Menschen haben schon Elemente davon in ihr Leben integriert und wollen dies nicht missen, weil sie zur Selbstbestätigung und zur Selbstwirksamkeit beiträgt. „New Work“ macht Vorschläge, wie man die Selbstversorgung systematisch ausbauen kann. Darüber hinaus können diese Vorschläge ergänzt werden durch weitere Aktivitäten, um Lebenshaltungskosten zu senken wie bewusster Konsum, tauschen, teilen, leihen usw.

4.  Es sei darauf hingewiesen, dass jemand, der seine Arbeitszeit reduziert und brutto weniger verdient, nicht entsprechend weniger netto hat, sondern steuerlich entlastet wird.

Freie Arbeit

Die Arbeitszeitverkürzung schafft erst den zeitlichen Freiraum, um eine qualitativ höhere Form von Arbeit zu entwickeln, die uns im eigentlichen Sinne gesund macht.

Das heißt: eine Arbeit, die uns Kraft spendet, die uns belebt, die uns stärkt, die unsere Widerstandskraft fördert, die uns Freude bereitet. Wir nennen diese Arbeit „freie Arbeit“ im Gegensatz zur „notwendigen Arbeit“.

„Notwendige Arbeit“ ist die herkömmliche Lohnarbeit, die wir tun müssen, um Geld zu verdienen, um damit wiederum unseren Lebensunterhalt zu bestreiten. Notwendige Arbeit ist Arbeit für andere: für einen Arbeitgeber oder für einen Markt. Sie berücksichtigt nicht so sehr unsere Bedürfnisse, sondern vielmehr die des Lohnarbeitssystems und hat deshalb negative Auswirkungen auf uns.

Freie Arbeit dagegen dient uns und unserer Entwicklung. Sie ist eine Arbeit, mit der wir uns identifizieren, die wir als unsere Lebensaufgabe betrachten, die unsere Leidenschaft zum Ausdruck bringt und die uns ein inneres Bedürfnis ist. Freie Arbeit ist eine Berufung – und wer ihr nachgeht, der fördert seine Gesundheit mehr als mit Tai-Chi oder durch das Einnehmen von Vitamin-Präparaten.

Ist das nicht utopisch: Teilzeitjob und Berufung für jeden? Nein, das ist es nicht:

  • In den letzten Jahren sind Initiativen entstanden, um für Teilzeitarbeit zu werben. So hat die schweizerische Initiative „Der Teilzeitmann“ das Thema landesweit bekannt gemacht und viele Männer veranlasst, weniger zu arbeiten. Und die Auswertungen haben ergeben, dass keiner der Männer dies bereut hat und nicht wieder eine Vollzeitbeschäftigung aufgenommen hat.
  • Gegenwärtig wird international die 4-Tage-Woche diskutiert und verschiedene Länder experimentieren hierzu. Es bleibt abzuwarten, wie sich dieses Thema entwickelt.
  • Im Jahr 2023 gingen rund 13 Millionen aller Erwerbstätigen einer Teilzeittätigkeit nach, dies entspricht 30,2 %. Ende 2023 lag die Teilzeitquote bereits bei 31%. Im Jahr 2024 ist diese Quote weiter gestiegen. Dass es einen gesetzlichen Anspruch auf Teilzeit gibt, erleichtert vielen diesen Schritt.
  • Die Technologisierung der Arbeit erfährt durch die Digitalisierung einen enormen Schub. Es ist zu erwarten, dass weit mehr Jobs automatisiert als neue geschaffen werden. Will man keine zunehmende Kluft zwischen Beschäftigungslosen und Jobinhabern in Kauf nehmen, so ist Einführung von Arbeitszeitverkürzung der einzige Weg, dieses arbeitsgesellschaftliche Problem zu lösen.
  • Gerade Menschen, die sich mit beruflich unhaltbaren Zuständen konfrontiert sehen oder schon einmal einen Burn-Out hatten, ändern ganz grundsätzlich ihre Arbeitssituation. Warum aber so lange warten, bis man gesundheitlich beeinträchtigt ist und dann gezwungen wird, eine Arbeit zu identifizieren, die einem gut tut. Einer Berufung nachzugehen ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, um in dieser Arbeitswelt zu bestehen.
  • Begegnen wir Menschen, die ihrer beruflichen Bestimmung folgen, so beeindrucken sie uns. Wir halten es für erstrebenswert, selbst einen solchen Zustand zu erreichen. Sind wir also ehrlich uns gegenüber und fragen uns: was wollen wir wirklich, wirklich tun? 

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Über den Autor: 

Guenter Thoma
Günter Thoma, Studium der Ökonomie, Studium und Weiterbildung zu „New Work“ bei Prof. Dr. Frithjof Bergmann in den USA, Berater für berufliche Übergänge, Lehrbeauftragter.

Homepage: www.newwork-dasOriginal.de