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Nachhaltigkeit ist längst kein Nischenthema mehr. Viele Produkte tragen Biosiegel und es gibt ganze Branchen, die ihre Existenz darauf aufgebaut haben. Von einer gänzlich nachhaltigen Gesellschaft sind wir jedoch noch weit entfernt. Denn es reicht nicht aus, dass Unternehmen Produkte entwickeln, die nur ein "bißchen" nachhaltig sind. Laut John R. Ehrenfeld, dem früheren Direktor der Society for Industrial Ecology, braucht es mehr. Unternehmen müssen sich darüber bewusst werden, dass sie nur durch radikale Änderungen in ihrem Geschäftsmodell nachhaltig mit ihrer Umwelt umgehen können.
Doch Unternehmen verändern sich nur, wenn es ihnen Vorteile gibt – zum Beispiel wenn ihre Kund*innen beginnen, sich durch Nachhaligkeit mehr für ihre Produkte zu interessieren. Konsument*innen bestimmen also durch ihre Kaufwahl, welche Produkte produziert werden – und immer mehr auch auf welche Weise.
Eine nachhaltige Gesellschaft hängt zu großen Teil an dem Bewusstsein der Konsument*innen für Nachhaltigkeit. Wenn sie im Supermarkt oder Online einkaufen, entscheiden sie sich dann für das nachhaltigere Produkt? Äußern sie sich – beispielsweise auf Social Media – zu diesen Themen? Wir sind diesen Fragen nachgegangen und haben uns einige Studien – insbesondere der Unternehmen selbst – zur Nachfrageseite der letzten Jahre angesehen.
Wollen Verbraucher Nachhaltigkeit?
Laut einer imug-Studie ist alleine zwischen 2000 und 2010 die Bekanntheit des Begriffs „Nachhaltige Entwicklung“ um 30 Prozentpunkte auf 43 Prozent gestiegen. Einen ähnlichen Anstieg verzeichnet auch eine Studie in der Fachzeitschrift „Ökologisches Wirtschaften“. Demnach waren 2007 erst gut ein Drittel der deutschen Bürger in der Lage, spontan zutreffend zu sagen, was sie unter Nachhaltigkeit verstehen. 2012 waren es immerhin bereits über die Hälfte. Das bedeutet, dass immer mehr Menschen sich darüber im Klaren sind, dass Nachhaltigkeit als Konzept existiert.
Das Wissen ob der Nachhaltigkeit hat auch Auswirkungen auf die Kaufentscheidung. So gibt es immer mehr Verbraucher*innen, die diese Perspektive in die Auswahl ihrer Produkte einfließen lassen. Regionalität, artgerechte Haltung, die Herkunft der Produkte und Fair Trade besitzen beispielsweise in einer Studie ein immer höheres Gewicht bei der Auswahl von Lebensmitteln. Neben Lebensmitteln sind auch Energie, Mobilität und Verkehr und Gesundheit Bereiche, in denen Konsument*innen nachhaltige Bedingungen und Herstellung als wichtig empfinden. Dabei sind 33 Prozent der Käufer*innen durchaus auch bereit, sich einzuschränken.
Da kommt es nicht von ungefähr, dass in einer Studie der polycore und Spiegel Media 69 Prozent der befragten Personen Unternehmen zukünftig in einer gesellschaftlichen Verantwortung sehen – denn Konsument*innen sind abhängig von den Produktionsbedingungen der Unternehmen, damit sie selbst nachhaltige Waren kaufen können.
Diese Änderung im Konsum wird natürlich auch durch die Unternehmen selbst wahrgenommen. In einer neuen Umfragen in der Schmuck- und Uhrenbranche antworten 58 % der befragten Händler*innen und Hersteller*innen, dass Nachhaltigkeit ein außerordentlich wichtiges Thema der Zukunft sei. Zudem haben rund 80 Prozent das Thema bereits in ihre Unternehmensphilosophie aufgenommen. Knapp 50 % der Hersteller*innen recyceln bereits im Zuge dessen zum Beispiel Edelmetalle und auch zwei Drittel verkaufen nachhaltige Rohstoffe wie beispielsweise Holz oder Kork.
In einer Studie der OTTO Group von 2013 gibt fast die Hälfte der befragten Verbraucher*innen an, dass sie mehr Geld für nachhaltige Produkte ausgeben als noch ein oder zwei Jahre zuvor. Nachhaltigkeit scheint in den Haushalten zumindest in Teilen angekommen zu sein. Die Grundstimmung „es muss sich etwas ändern“, wird auf den eigenen Konsum übertragen und Gewohnheiten werden vermehrt hinterfragt.
Es ist noch ein langer Weg
Obwohl das allgemeine Nachhaltigkeitsbewusstsein stark zugenommen hat, zeigen die bislang erreichten Veränderungen und Maßnahmen in Richtung Nachhaltigkeit nur selten die erhoffte Wirkung. Der Verbrauch von Energie und Ressourcen steigt weiter an, unser ökologischer Fußabdruck wird größer, die biologische Artenvielfalt kleiner, die globalen Umweltbelastungen und soziale Ungleichheiten nehmen weiter zu. Das gegenwärtige, global prägende Zivilisationsmodell hat einen Massenkonsum hervorgebracht, der die Kapazitäten der Erde deutlich überschreitet.
Zudem wird Nachhaltigkeit nie alleine den Kaufanreiz darstellen, sondern immer ein Zusatznutzen sein. Ein nachhaltiges Produkt muss daher genauso überzeugen wie das herkömmliche. Um diese Hürde zu überwinden, müssen wir als Gesellschaft weiter an einem Werte- und Kulturwandel arbeiten, als dass die Nachfrage nach nachhaltigem Verbrauch den Wandel in Unternehmen weiterhin unterstützt. Auch müssen wir von politischer Seite verstärkt eine Wirtschaft im Allgemeinen und Unternehmen im Besonderen unterstützen, die radikale, neue Wege aufzeigen, wie Konsum nachhaltig gedacht werden kann.
Über die Autor*innen:
Isabella Lessing lebt für Nachhaltigkeit. Sie hat bei der Triodos Bank und dem Social Impact Lab gearbeitet und studiert nun nachhaltiges Wirtschaften.
Michael Wunsch ist Mitgründer des Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e. V., bei dem er die Wissenschaftliche Kooperationen verantwortet. Er liebt die Entwicklung von Projekten, welche Nachhaltigkeit in die Wirtschaft und Gesellschaft bringen.
Dieser Artikel erschien ursprünglich im Mai 2020 und wurde im November 2022 aktualisiert.